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Kapitel 46 – Sayokos Art, mit Dingen umzugehen

 

 

 

Voller Energie und Motivation verließen Ginta und die Anderen Tonamento in Richtung Norden, als sie sich früh morgens von Helln D. und Relid J. verabschiedeten.

 

„Ist heute nicht ein schöner Tag?“, grinste Ginta.

 

Shiana nickte ihm zu und lächelte ebenfalls.

 

„Was ist an diesem Tag schön...“, brummte Sayoko.

 

„Es ist angenehm warm“, warf Jumon ein, der mal wieder ein Buch las.

 

„Ich hab das im Gefühl, das heute einfach ein schöner Tag ist“, meinte Ginta.

 

„Deine Laune möchte man haben“, seufzte die mies gelaunte Sayoko und kratzte sich am Kopf.

 

„Gib... gib dem Tag doch eine Chance“, versuchte Shiana sie zu überzeugen.

 

„Ja! Gib ihm eine Chance!“, brüllte Tsuru, die dann zusammen mit Kûosa in Gelächter ausbrach.

 

Sayoko gab nur noch ein tiefes Brummen von sich.

 

 

 

Nach einiger Zeit war es so weit, ein kleines Lager aufzuschlagen und das Mittagessen vorzubereiten. Auf einer Wiese in der Nähe eines kleinen Waldes machten sich unsere Helden breit. Jumon und Ginta sammelten ein wenig Feuerholz, Tsuru und Kûosa verbrachten die Zeit mit Shiana, die zusammen mit den zweien Blumenketten flochtete – irgendwer musste sich ja um die Kleine kümmern – und es schien, als würden sie sich gut verstehen. Shiana war liebevoll und kümmerte sich fast wie eine Mutter um das kleine grün-haarige Mädchen.

 

Als das Feuer endlich so weit war, bereiteten sie ihr Essen zu und ließen sich es schmecken.

 

Nach dem Essen, kündete Tsuru eine große Aktion an.

 

„Schaut mal was Shiana und ich gebastelt haben!“, prahlte sie und reichte jedem eine wunderschöne Kette aus geflochtenen Blumen, „Eine für dich,... eine für dich,... eine für dich...“

 

Dann kam sie zu Sayoko, die gerade ihren letzten Bissen hinunterschluckte.

 

„Ich habe auch eine für dich“, grinste Tsuru und lag ihr die Blumenkette um den Hals. Die Kette saß auf Sayokos Perlenkette und spiegelte sich darin in einem großen Spektrum von Farben wieder.

 

„So siehst du auch fröhlich aus, wenn du nicht lächelst“, lachte Jumon.

 

Doch Sayoko gab nur ein Murren von sich.

 

„Es ist Zeit für ein kleines Mittagsschläfchen“, gab Ginta von sich und gähnte herzhaft.

 

„Du hast letzte Nacht wieder nicht geschlafen...“, murmelte Shiana.

 

„Du...“, setzte Ginta an, weil er etwas sagen wollte, schluckte seine Gedanken dann jedoch wieder herunter und sprach weiter, „Ich lege mich ein wenig hin!“

 

Er stand auf und suchte sich in der Blumenwiese einen gemütliche , käferlosen Platz und legte sich in die Sonne.

 

„Weckt mich, wenn wir weitergehen“, gähnte er noch einmal und döste langsam ein.

 

„Ich werde ein weiteres Buch lesen...“, meinte Jumon und kramte einen dicken Schmöker aus seiner Tasche, „Ah, das ist ein gutes.“

 

„Tsuru, wollen wir noch ein paar Blumen sammeln gehen?“, schlug Shiana ihr vor.

 

„Klar! Kûosa du kommst auch mit“, sie stand auf und zerrte den Riesen an seiner Tatze, „Du brauchst noch viel mehr Blumenketten!“

 

„Wie ich sehe, seid ihr alle beschäftigt“, meinte Sayoko, „Ich werde ein wenig spazieren gehen, wir sehen uns später...“

 

„Bis später“, wurde sie verabschiedet.

 

 

 

Der Wind streifte durch die Alleen und schaukelte die Zweige der Bäume sanft hin und her. Wattewolken zogen über den strahlenden Himmel und Sayoko verlor sich ganz in ihren Gedanken.

 

'Endlich mal ein Tag zum entspannen... Aber das dürfen sie sich gönnen, nachdem was wir in letzter Zeit erlebt haben', dachte sie und seufzte, 'Jedoch stehen uns bestimmt noch schlimmere Zeiten bevor... Vor allem wenn wir wirklich das Hauptquartier der Shal stürmen wollen. Wie stellt sich Ginta das überhaupt vor? Diese Vorgehensweise ist doch viel zu naiv... Naiv? Was wundere ich mich, sie sind doch alle noch Kinder... Dass Oto und Ryoma gegangen sind, macht die ganze Sache nicht leichter, zumal wir auch noch die kleine Tsuru am Hals haben...'

 

Sayoko seufzte wieder und lief einfach weiter, bis sie in der Ferne ein kleines Dorf ausfindig machen konnte.

 

'Sayoko, bleib hartnäckig! Du bist die Einzige, die auf die Knirpse aufpassen kann, du schaffst das!', sprach sie zu sich selbst, 'Aber jetzt gönne ich mir erst einmal ein großes Stück schwarze Schokolade, die ich mir in Tonamento gekauft habe.'

 

Sie wollte gerade ihre Hand in ihre Tasche stecken, als eine Silhouette blitzschnell an ihr vorbeizog.

 

Sie hörte noch die Worte „Danke sehr!“, als sie einer Person hinterher sah, die sich mit ihrer Tasche aus dem Staub machte.

 

„Taschendieb!“, brüllte sie und sprintete los, „Gib sie wieder her! Sonst werde ich echt gereizt!“

 

Doch der Dieb reagierte darauf nicht.

 

Sayoko folgte dem ihm in Richtung des Dorfes. Als der Dieb aber schon die ersten Straßen erreichte, verschwand er hinter einem Haus.

 

„Ich krieg dich noch!“, brüllte die Pinkhaarige wieder.

 

Plötzlich hatte sie einen Flashback. In ihrem Kopf sah sie Bilder der Stadt, in der sie vor langer Zeit als Straßenkind ums überleben kämpfte.

 

Doch schon im selben Augenblick verschwanden diese Bilder wieder und intuitiv wurde sie durch die Straßen geführt.

 

Auf einmal hatte sie die Spur des Dieben wieder aufgenommen und kurze Zeit später, lief sie ihm wieder hinterher.

 

„Stopp!“, rief sie, doch der Dieb reagierte wieder nicht.

 

An einer Straßenecke verschwand der Dieb hinter einer Mauer und dies nutzte Sayoko als Chance. Sie nahm extra Anlauf und sprang mit aller Kraft quer über die Mauer, um dann direkt vor dem Dieb zu stehen.

 

Nein, der Diebin!

 

 

 

Vor ihr stand ein gerade mal 17-jähriges Mädchen, mit kurzen orange-gelben Haaren, die sie zu einem kleinen Zopf nach hinten band. Sie trug eine dreckige Latzhose und sah nicht so aus, als hätte sie wohlhabende Eltern.

 

„Gib mir bitte meine Tasche zurück“, forderte Sayoko.

 

„Niemals!“, brüllte die Diebin und versuchte wieder wegzurennen.

 

„Wie heißt du?“, fragte Sayoko, als sie das Mädchen festhielt, damit sie nicht fliehen konnte.

 

„Lass mich los!“, beschwerte es sich.

 

„Wie heißt du?“, wiederholte Sayoko eindringlich.

 

„Nein!“, das Mädchen versuchte zu beißen, doch Sayoko zückte ihren Dolch.

 

„Wenn du mir sagst, wie du heißt, bin ich bereit einen Kompromiss mit dir zu schließen. Ich gebe dir Geld und Essen, was auch immer du willst“, bot sie der Diebin an.

 

„Shira, Shira Naimi ist mein Name“, stellte sie sich vor.

 

Sayoko sah ihr in die Augen. Sie sah etwas beeindruckendes in ihr, was sie nicht erwartet hätte.

 

„Ich weiß wie das ist“, fing Sayoko an und ließ Shira wieder los.

 

„Wie was ist!?“, zickte das orangehaarige Mädchen.

 

„Auf der Straße zu leben...“

 

„Woher weißt du...“

 

„Wieso sollte ein so junges Mädchen wie du sonst Taschen klauen? Außerdem, sieh dich doch einmal an...“, erklärte ihr Sayoko.

 

„Lass mich doch in Ruhe! Woher willst du das denn schon wissen!?“, regte sich Shira auf.

 

„Glaub mir, ich habe länger auf der Straße gelebt als du... Das sehe ich in deinen Augen...“

 

Was Sayoko wirklich sah, war Aishi. Sie sah die Naivität und die Unschuld in Shiras Augen, wie sie nur Aishi in ihren hatte.

 

„Ich gebe dir Geld, ist das in Ordnung?“

 

Shira sagte nichts.

 

„Ist das genug?“, fragte sie, als sie einen Bündel Geldscheine aus ihrer Tasche holte.

 

„Mh...“, gab Shira von sich.

 

„Bedank dich gefälligst!“, beschwerte sich Sayoko, „Wenn du nicht dankbar über deine Spenden bist, wirst du bald keine mehr bekommen...“

 

„Wer bist du, meine Mutter!?“, griff Shira sie wieder an.

 

„Nein, deine Mutter sicherlich nicht...“, sagte sie und fügte leise hinzu, „Deine Mutter kann niemand ersetzen...“

 

„Shira, Shira!“, brüllte ein kleiner Junge, der plötzlich um die Ecke kam. Er war verdreckt und hatte eine übergroße Schiebermütze auf dem Kopf.

 

„Was ist denn los, Faivh?“

 

„Jimita hat sich verletzt!“

 

„Was hat er denn schon wieder gemacht?“, seufzte Shira.

 

„Er wollte auf einen Baum klettern, um einen Kuchen von einem Fensterbrett zu stehlen.“

 

„Bring mich zu ihm“, meinte sie und folgte dem Jungen.

 

Weg waren die Beiden.

 

 

 

„Endlich habe ich meine Tasche wieder. Dann kann ich ja beruhigt gehen...“, sagte Sayoko zu sich selbst, „Aber...“

 

Sayoko konnte nicht einfach gehen. Vielleicht war es die Neugier, vielleicht auch ein Teil ihrer Vergangenheit, der sie einholte, oder schlicht und einfach pure Sorge um den Jungen.

 

Sie selbst hat das früher oft miterlebt, wie sich andere Straßenkinder Dinge trauten, die lebensgefährlich waren und mit einem Haar knapp entkommen konnten.

 

Der Junge hatte sich verletzt.

 

Schnell warf sie sich ihre Tasche um und suchte Shira und den Kleinen mit der Mütze.

 

Einige Straßen weiter, in einem kleinen Hof, dessen Gras fast nicht mehr wuchs, weil so viele Leute und Kinder darauf herum getrampelt sind, lag ein schwarzhaariger Junge auf dem Boden. Shira kniete sich neben ihm auf den Boden und war gerade dabei, sein Oberteil auszuziehen.

 

„Was machst du denn immer für dumme Sachen!“, brüllte sie ihn an und wollte ihm schon fast eine Kopfnuss erteilen. Doch dann drückte sie ihre Faust in den dreckigen Boden und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken.

 

„Es... es tut mir Leid, AUTSCH!“, entschuldigte sich der Junge und schrie, als Shira an seine Rippen kam.

 

Der Junge auf dem Boden, Jimita hieß er, soweit sich Sayoko daran erinnern konnte, war etwas größer als der Junge mit der Mütze und wahrscheinlich dessen Bruder.

 

Shira tastete mit ihrer Hand seinen Brustkorb ab.

 

„Au!“, rief er wieder auf, „Deine Hand ist so kalt!“

 

„Sei still“, erwiderte Shira und Jimita hörte auf sie.

 

„Es tut da also weh?“, erkundigte sie sich.

 

„Höllisch!“, entgegnete er.

 

„Kannst du was dagegen tun, Shira?“, fragte der kleine Junge, „Ich hoffe dir ist nichts sehr schlimmes passiert, großer Bruder!“

 

„Nein, gar nicht!“, meinte er sarkastisch, „Au!“

 

„Jetzt sei doch nicht so ein Weichei“, schimpfte Shira, „Du hast dir zum Glück nichts gebrochen, wahrscheinlich nur oberflächlich verletzt, oder du hast dir nur etwas gestaucht. Also wäre ein Verband nicht schlecht...“

 

Sie sah sich um und als sie Sayoko sah, die auf einer Bank in der Nähe saß, blickte sie sofort weg.

 

„Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig...“, meinte sie und griff nach ihrem Hosenbein, „Daraus kann ich auch einen Verband machen.“

 

„Aber deine schöne Hose“, wandte Faivh ein.

 

„Ist mir egal...“

 

Sie griff nach ihrem Hosenbein und wollte kräftig daran reißen, als sie eine Frauenhand aufhielt.

 

„Ich habe in meiner Tasche einen Schal, den kannst du haben“, sprach Sayoko zu ihr und zog mit der anderen Hand einen schwarzen Schal aus ihrer Tasche.

 

„Hat dir das nicht gereicht, mir einen Bündel Geld zu schenken?“, zickte Shira wieder.

 

„Dann mach ich das eben“, murrte Sayoko und setzte sich neben Jimita.

 

„Kannst du dich aufrecht hinsetzen?“, fragte sie ihn.

 

Er nickte zögerlich und setzte sich langsam auf.

 

„Aber es tut weh...“

 

„Den Schmerz wirst du aushalten können...“

 

 

 

Shiras Wut erkannte man durch ihren Gesichtsausdruck. Sie knirschte die Zähne.

 

„Lass mich doch endlich in Ruhe!“, schrie sie Sayoko an, „Ich brauche deine Hilfe nicht!“

 

„Shira, beruhige dich doch“, wimmerte Faivh, „Lass dir doch helfen...“

 

„Ich brauche diese Hilfe nicht! Ich schaff das auch alleine!“

 

„Shira...“, jetzt fing der Junge mit der Mütze an zu weinen.

 

„Immer heißt es 'Ich, ich, ich...'“, ahmte Sayoko sie nach, „Denkst du auch mal an die zwei hier?“

 

Sayoko wurde in diesem Moment einiges klar. Diese Straßenkinder, ihr Leben, ihre Vergangenheit... Die Drei waren Waisen, die ihre Eltern nie kennen gelernt hatten. In dem Dorf gab es ein Waisenhaus, das sah sie, als sie Shira durch die Straßen folgte. Wahrscheinlich wurden sie schlecht behandelt, deswegen machte sich Shira mit den zwei Jungs auf, um ihr eigenes Leben zu leben. Woher sie das alles so plötzlich wusste, war ihr unklar. Aber sie wusste es.

 

 

 

Die Pinkhaarige wickelte ihren Schal weiter um den Brustkorb des Jungen und zog straff an.

 

„Du solltest solche Aktionen nicht noch einmal machen“, riet sie ihm.

 

„Was gibt dir das Recht, so mit mir zu reden!?“, brüllte Shira und brach in Tränen aus, „Du weißt doch gar nichts! Du weißt nicht wie das hier ist! Du kennst uns nicht einmal!“

 

„Hör mal zu“, fing Sayoko, „Ich glaube, dass ich mehr weiß als du denkst. Sei nicht so egozentrisch und lass dir auch von anderen helfen, bedanke dich für Spenden und sei etwas höflicher zu Personen wie mich! Vor allem respektvoller gegenüber älteren Menschen. Wenn ich du wäre, hätte ich mir schon längst Arbeit verschafft...“

 

Sie stand auf und sah wieder Aishi vor sich.

 

~ Sei nicht zu hart zu ihnen, sie sind doch noch Kinder...~, hallte ihre Stimme durch Sayokos Kopf.

 

'Es tut mir Leid, Aishi... aber sie ist so ein Sturkopf...', entschuldigte sie sich in Gedanken.

 

„Wenn ich euch einen Rat mitgeben darf... Versucht mit allen Mitteln von der Straße weg zu kommen... Geht wenn möglich wieder ins Waisenhaus zurück. Oder, wenn das zu schlimm ist, geht in andere Städte und schaut euch da um! Es gibt so viele Möglichkeiten, wie ihr euer Leben besser gestalten könnt“, sagte sie noch und machte sich wieder auf den Weg. Mehr zu sich selbst sprach sie die Worte „und egal was passiert, bleibt am Leben.“

 

Sayoko verließ die Waisenkinder mit einem eigenartigen Gefühl im Magen.

 

'Habe ich mich damals nicht genauso benommen?', sprach sie zu sich, als neben ihr Aishi auftauchte. Sie wusste, dass es bloß die schwache Erinnerung an ihre damalige Freundin war, aber dennoch ließ sie sich auf dieses Bild ein.

 

Aishi nickte und lächelte schwach.

 

'Aber als ich dich getroffen habe... habe ich gemerkt, was so falsch an meinem Verhalten war, nicht wahr, Aishi?', meinte Sayoko und ließ einen schwachen Seufzer heraus. 'Warum nur hast du mich verlassen?'

 

Sayoko griff in ihre Tasche. Das Bild Aishis verblasste.

 

'Warum habe ich nur vergessen, was du mir damals beigebracht hast, als wir Freundinnen waren? Und warum kann ich nicht diesen Moment vergessen, in dem du von mir gegangen bist...'

 

Sie wühlte etwas herum, in der Hoffnung die Schokolade zu finden, die sie suchte. Doch sie war nicht mehr da.

 

„Ach verdammt!“, brüllte Sayoko, „Jetzt haben sie mir auch noch die Schokolade geklaut...“

 

Sie seufzte nun stärker und lächelte dann.

 

„Also irgendwie war die kleine genau so wie ich damals“, lachte Sayoko und lief weiter.

 

 

 

Kurze Zeit später kam Sayoko wieder zu den Anderen. Ginta schlief noch und Jumon blätterte pausenlos durch seine Bücher.

 

„Wie war dein Spaziergang?“, fragte Shiana nach, die Sayoko mit einem Lächeln begrüßte.

„Er war schön...“, sagte Sayoko ungelogen.

Kapitel 47 - Schlaflos

 

 

 

„Scheint so, als würden wir wohl in andere Gegenden kommen“, sagte Ginta und drehte sich zu seinen Freunden um.

 

„Das stimmt“, meinte Sayoko und fuhr mit dem Finger die Karte ab, „... aber ich kann nicht genau erkennen, was vor uns liegt, die Karte ist wohl schon etwas älter. Am besten ist, wir fragen in der nächsten Stadt nach. Ah, wir müssten bald nach Yamako kommen.“

 

„Es wäre dann auch besser, wenn wir in der Stadt eine Nacht lang bleiben, das Wetter sieht ja nicht gerade schön aus“, murmelte Jumon.

 

Fette, dunkle Wolken zogen über den Himmel. Die Sonne warf Schleier des Lichts durch die flauschigen Himmelsschiffe. Die Hügel der Landschaft hatten nur noch mehr eine graue Farbe. Selten sah man durch das Licht noch das Rot des Bodens und des Gesteins.

 

„Ich finde, das ist eine gute Idee“, stimmte Ginta zu.

 

„Ich auch“, meinte Shiana.

 

„Gut, dann bleiben wir in Yamako“, schloss Sayoko ab.

 

Die Erde wurde allmählich sandiger, die Wiesen dürrer und die Landschaft felsiger. Die Gruppe merkte, dass es langsam immer steiler bergauf ging und selbst die Pfade durch die Schluchten immer verworrener wurden.

 

Doch es dauerte nicht mehr lange, denn am frühen Abend erreichten sie endlich ein kleines Dorf namens Yamako.

 

Die Holzhütten standen anscheinend wahllos in der Gegend herum, als hätte man ganz spontan einen Platz für seine Hütte ausgewählt und sie dort aufgerichtet. Deswegen es gab auch keine richtigen Straßen. Die Leute gingen einfach an den Häusern vorbei und folgten kleinen Pfaden.

 

Kinder tollten umher und lachten, als sie Kûosa sahen. Alte Damen unterhielten sich miteinander. Sie waren von der Sonne braungebrannt und ihre Haut war von den Wettereinflüssen rau und faltig. Da unsere Freunde kein gekennzeichnetes Gasthaus fanden, fragte Sayoko einfach nach. Eine der Frauen war höflich und zeigte mit dem Finger auf ein Haus, das etwas tiefer im Boden versunken zu sein schien. Das Haus hatte 3 Stockwerke, wobei gerade noch der erste Stock auf normaler Bodenhöhe war. So blieb einem nichts anderes übrig, als eine Treppe zu nehmen, die einen nach unten führte.

 

Das Gasthaus selbst war ein aus einem rot-braunen Gestein geschlagenes Gebäude, mit Fenstern, jedoch ohne Balkon. Innen war es wie ein übliches Gasthaus eingerichtet. Hier und da Pflanzen, Landschaftsbilder an den Wänden, ein schöner Teppich, der einem zur Rezeption führte und etliche Sitzgelegenheiten.

 

Nun standen sie alle im Foyer. Sayoko kramte noch ihr Geld aus ihrer Tasche, damit sie die Zimmer gleich bezahlen konnten.

 

„Guckt doch mal, wie sie uns anstarrt“, murmelte Jumon zu den Anderen.

 

„Sie hält uns bestimmt für verrückt...“, entgegnete Ginta und stellte sich schützend vor Kûosa, „Das ist bestimmt nur wegen ihm hier...“

 

Der Hasenbär stand nur da, hielt Tsurus Hand und grinste wie üblich.

 

Shiana musste ein wenig grinsen.

 

„Ein Zweier- und ein Vierer-Zimmer bitte“, meinte Sayoko, als sie vor der Rezeptionistin stand.

 

„Kl... klar“, stotterte diese und gab Sayoko die Schlüssel, nachdem sie bezahlte, „Ihre Zimmer sind ganz oben...“

 

„Vielen Dank. Auf geht’s Leute!“

 

 

 

Schon begaben sie sich hinauf in den obersten Stock. Am Gang angekommen, verteilte Sayoko die Schlüssel.

 

„Also wir machen es wie üblich“, meinte sie als sie vor einem der Zimmer stand, „Shiana, Tsuru, Kûosa und ich nehmen dieses Zimmer hier...“

 

„Und wir Zwei, das da hinten?“, fragte Ginta und streckte die Hand nach dem Schlüssel aus.

 

„Genau“, meinte die pinkhaarige und überreichte den Schlüssel, „Ich wünsche eine gute Nacht.“

 

„Wünsche euch auch eine gute Nacht“, sagte Ginta.

 

„Ich euch auch“, fügte Jumon hinzu und die zwei Jungs begaben sich auf ihr Zimmer.

 

Ginta öffnete die Tür und blickte in das Zwei-Bett-Zimmer.

 

„War ja zu erwarten, dass es nicht gerade groß ist, nicht wahr?“

 

„Ja, da hast du Recht“, seufzte Jumon, „und dann auch noch ein Doppelbett?“

 

„Auseinanderschieben können wir es nicht“, stellte Ginta fest, der seine Tasche schon einmal auf das Bett lag. Myu sprang heraus und erkundete das Zimmer.

 

„Auch mal wieder wach? Du Schlafmütze“, meinte der Weißhaarige und kraulte ihren Kopf.

 

„Nun denn, müssen wir wohl zusammen im Doppelbett schlafen, ist ja keine wilde Sache“, gähnte Jumon und lag sich auf seine Hälfte, „Wenn es dich nicht stört, lese ich ein Buch...“

 

„Nein nein, mach ruhig. Ich öffne mal das Fenster, ja?“

 

„Klar, mach ruhig, es ist sowieso warm hier drinnen.“

 

 

 

Die Fenster waren schon etwas älter und klapperten als er sie öffnete. Seine Arme stützte er auf das schmucklose Fensterbrett und lehnte sich etwas nach draußen. Was er dann zu Gesicht bekam, erstaunte ihn. Vor ihm breitete sich in der Ferne eine riesige Wüste aus. Die bergige Landschaft schien sich mit der Entfernung in eine Wüste zu verwandeln. Die untergehende Sonne tauchte die Landschaft noch in satte Rot- und Orange-Töne.

 

„Ich glaube es nicht...“, stammelte Ginta vor sich hin.

 

„Ist das nicht bemerkenswert?“, rief ihm Shiana zu, die sich einige Fenster weiter ebenfalls an dieser Aussicht erfreute. Sie winkte ihm zu.

 

„In der Tat!“, antwortete er ihr, „Hat Sayoko das schon gesehen?“

 

„Ja! Sie ist runter zur Rezeption und frägt nach einer besseren Karte.“

 

„Also müssen wir da durch?“

 

„Scheint so. Das hat sie zumindest zu mir gemeint... Oh, da ist sie wieder!“

 

Shiana ging vom Fenster wieder weg und an ihrer Stelle lehnte sich kurze Zeit darauf Sayoko aus dem Fenster.

 

„Scheint so, als ob wir die Wüste durchqueren müssten! Es gibt keinen anderen Weg...“

 

„Ist doch nicht schlimm! Das schaffen wir schon!“

 

„Hoffe ich, die Rezeptionistin hat mich eigentlich gewarnt, dass wir das nicht tun sollten...“

 

„Mir ist das egal, wenn wir da durch müssen, müssen wir eben durch“, meinte Ginta und starrte wieder auf die Wüste, „Ich vertraue uns, dass wir das schaffen...“

 

„Wenn du meinst...“, sagte Sayoko noch und verschwand wieder vom Fenster.

 

„Durch eine Wüste also?“, seufzte Jumon.

 

„Bleibt uns wohl nichts anderes übrig“, meinte Ginta während er sich wieder ins Zimmer drehte.

 

„Aber wenn du dir sicher bist, dass wir das schaffen, dann bin ich mir auch sicher...“, sprach Jumon und widmete sich wieder seinem Buch.

 

Myu sprang auf das Fensterbrett und Ginta streichelte sie.

 

„Du wirst das auch schaffen“, bestätigte er ihr, „Zusammen schaffen wir alles.“

 

 

 

In diesem Moment knallte jemand die Tür auf und Kûosa stolperte hinein.

 

„Der schläft gefälligst bei euch! So ein Perversling! Woher sollte ich wissen, dass er noch SO männlich ist!?“, brüllte Sayoko, die einige Handtücher um sich geschlungen hat, „Der spannt mir nicht länger hinterher! Tschüss!“

 

Vor lauter Schreck fiel Jumon fast vom Bett und auch Myu war so erschrocken, dass sie sich an Gintas Körper festkrallte.

 

Stille herrschte.

 

Ginta starrte Kûosa an. Jumon starrte Kûosa an. Myu fauchte Kûosa an.

 

Dieser hob nur seinen Arm, kratzte sich verlegen hinter dem Kopf und grinste, wie er es immer tat.

 

„Na dann, komm rein“, bat ihn Ginta herein, obwohl Kûosa schon im Raum stand.

 

Jumon wandte sich wieder seinem Buch zu.

 

 

 

Auf den Betten lagen zwei Schichten von Decken. Oben auf lag eine dünnere Decke und darunter die etwas flauschigere, dickere Decke, mit der man normalerweise schlief. Ginta nahm seine Tasche, setzte sie neben das Bett und griff nach der dicken Decke und breitete sie vor dem Fußende des Bettes auf dem Boden aus.

 

„Ich hoffe das reicht dir“, hoffte Ginta, „Ich kann auch mit einer dünnen Decke schlafen.“

 

Kûosa nickte wild und saß sich im Schneidersitz auf seine Decke.

 

Myu, die sich wieder beruhigt hatte, lag sich auf Gintas Seite des Bettes und starrte Kûosa an, der flirtend zurück grinste.

 

„Seid bitte lieb zueinander“, bat er die Zwei, „Ich werde noch etwas nach draußen gehen, bis später.“

 

So verabschiedete er sich von seinen Zimmergenossen und verschwand.

 

 

 

Jumon blätterte und blätterte in seinem Buch, gähnte zwischendurch und las weiter.

 

Kûosa wollte wohl Freundschaft mit Myu schließen und streckte seine Tatze nach ihr aus. Die kleine schwarze Katze roch daran und verzog ihr Gesicht. Dann versuchte der Hasenbär mit einer Kralle sie zu streicheln, doch sie fauchte ihn nur an. Er schluckte und zog langsam seinen Arm wieder zurück.

 

Währenddessen zog Ginta durch das Gasthaus und bemerkte, dass es noch eine Treppe zum Dach gab. Das Dach war flach, also konnte man dort oben wohl sicher die schöne Aussicht genießen.

 

Nun merkte er wie dunkel es schon war, in dem Moment, als er die Tür zum Dach öffnete. Die Wolken wurden immer fetter und versperrten einem schon fast komplett die Sicht auf den schönen Sternenhimmel.

 

Wind wehte.

 

 

 

Ginta richtete seinen Blick in die Ferne, dort wo die Wüste begann.

 

„Was für ein Anblick“, murmelte er, „Irgendwo dort draußen befinden sich die Antworten auf meine Fragen. Dort befinden sich die Lösungen aller Probleme. Ich spüre das, ich weiß das...“

 

Er holte sein Amulett unter seinem Shirt hervor und betrachtete es ein wenig.

 

„Wie es Ryoma, Oto und Ama wohl geht? In diesem Moment? Schauen sie gerade auch auf den Horizont oder sind sie mit anderen Dingen beschäftigt? Ich vermisse sie... Ach, ihnen geht es bestimmt klasse.“

 

Das redete er sich nur ein. In Wirklichkeit machte er sich wirklich Sorgen um Oto und Ryoma. Bei Oto war er sich zumindest sicher, dass Ama bei ihr war. Doch über Ryoma wusste er nichts.

 

„Er ist ein Abenteurer, vor unserer Reise kam er auch schon allein zurecht... Wenn sie doch nur hier wären... dann würde ich mich nicht so einsam fühlen...“, gestand er sich ein, „Nicht, dass Jumon, Sayoko, Shiana und Tsuru mir nicht wichtig sind, aber es waren eben Oto und Ryoma, die mich seither immer begleitet haben...“

 

Ginta legte sich auf den sandigen Boden des Daches und starrte direkt in den Himmel.

 

Er hielt sein Amulett fest in seiner Hand und wünschte sich: „Lieber Wind, trage meine Grüße zu Oto und Ryoma und richte ihnen aus, dass ich sie vermisse und sie mir immer noch sehr wichtig sind. Ich hoffe, wir sehen uns ein zweites Mal...“

 

Die Zeit schien in diesen Momenten irgendwie langsamer zu vergehen. Die Wolken die an Ginta vorbeizogen wurden immer träger, der Wind immer sanfter, bis er einschlief. Sein Amulett leuchtete kurz in seinen Händen auf, doch das Licht erlosch sehr schnell wieder.

 

 

 

Er träumte von einer Person, die seine Hand hielt. Mehr konnte er nicht wahr nehmen. Die Person erschien ihm nett, als ob er sie kennen würde. Ob sie männlich oder weiblich war, konnte er jedoch nicht ausmachen. Sein Körper war ganz warm und er fühlte sich wohl. Dann wurde alles schwarz um ihn herum. Ginta versuchte der Person, die plötzlich verschwand hinterherzurufen, doch es klappte nicht. Selbst er hörte seine Stimme nicht mehr.

 

Dann wachte er wieder auf.

 

 

 

„Ich... ich bin wohl kurz weggenickt“, stellte er fest und richtete sich auf, „Zeit ins Bett zu gehen... Gehen? Das Fenster müsste doch noch offen sein, ich kann doch sicherlich auch reinspingen...“

 

Nun stand er auf und versuchte sich zu orientieren.

 

„Dort ging die Sonne unter, also war dort auch unser Zimmer“, schlussfolgerte er und begab sich zum Rand des Daches. Ein kurzer Blick nach unten zeigte ihm, dass das Fenster noch geöffnet war.

 

Jetzt stellte er sich etwas seitlich hin, hielt sich mit seinen Händen fest am Dachrand fest und versuchte mit einem Schwung direkt ins Zimmer zu springen. Doch er konnte sich nicht richtig festhalten und rutschte ab. Mit einem halben Salto landete er mit den Füßen nach oben am Rand des Bettes.

 

„Autsch!“, gab er von sich und wurde dann wieder ganz still.

 

'Das ist nicht mein Zimmer', dachte er sich, als er sich umsah.

 

Plötzlich fasste ihn jemand an seinen Hintern. Er errötete extremst, als er dann noch die Stimme der Person hörte, die ihn berührte.

 

„Ginta...“, murmelte Shiana, „Ginta...“

 

Er schluckte schwer, war sie etwa wach?

 

Dann hörte man sie sanft atmen. Sie schlief also doch, oder?

 

Ginta richtete sich auf und stand vor dem einem Doppelbett, in dem Tsuru und Shiana schliefen.

 

'Sie schläft', dachte Ginta, ,'Was für ein Glück!'

 

Sie lag dort in ihrem Bett, trug ein langes Nachthemd und die Decke bedeckte kaum ihren Körper. War ihr warm?

 

'Shiana sieht echt süß aus, wenn sie schläft... Sie hat so zarte Haut, ein so süßes Gesicht und schöne Haare...'

 

Sie drehte sich um und lag nun vollkommen auf dem Rücken. Ihr Nachthemd rutschte etwas nach oben. Ginta drehte sich geschockt um.

 

'Hab... hab ich etwa gerade ihr Höschen gesehen? Nein... das... das kann nicht sein! Oder...?', in Gedanken vertieft wollte er sich wieder umdrehen um sich sicher zu gehen, dass er es nicht gesehen hat, doch das war ihm zu unsicher, 'Lieber nicht...'

 

Jemand räusperte sich.

 

„Oh... G... g... guten Abend Sayoko“, stotterte er.

 

„Ich frage dich lieber nicht, was du hier machst“, flüsterte sie in einem bedrohlichen Ton.

 

„Ich... ich.. es war nur ein Zufall“, verteidigte er sich.

 

Nun war er vollkommen rot im Gesicht und ihm war heiß bis zum Geht-Nicht-Mehr.

 

„Ich gehe wieder in mein Zimmer...“, sagte er und schlich sich aus dem Raum. Leise schloss er die Tür hinter sich.

 

„Puh“, seufzte er, „Das hätte schlimmer ausgehen können...“

 

Nun ging er in sein Zimmer. Kûosa lag im Bett und schnarchte laut. Jumon lag nur in Boxershort bekleidet neben ihm.

 

„Na toll, hat er sich einfach in mein Bett gelegt... Dieser Kûosa...“, stellte er fest, „Und Jumon war wohl schon duschen, das sollte ich auch gleich tun...“

 

In der Tat war Jumon sehr warm, er atmete schwerer als sonst.

 

 

 

Ginta zog sich aus und warf seine Klamotten einfach auf den Boden neben das Bad. Im Bad hatte es sich Myu im Waschbecken gemütlich gemacht und schlief tief.

 

„Dann dusche ich lieber leise...“, flüsterte Ginta und begab sich in die Duschkabine. Er drehte das Wasser auf und genoss es, wie das Wasser auf seinen Körper prasselte.

 

Nachdem er auch damit fertig war, zog er sich ein Shirt und eine Unterhose an und setzte sich auf die dicke Decke, die ja eigentlich für Kûosa gedacht war und lehnte sich an das Bett.

 

Ob er so schlafen konnte, war natürlich eine Frage für sich.

 

Kapitel 48 – Wüste, Rückkehr und Rivalinnen

 

 

 

Es war ein extrem heißer Tag. Die Wolken des Vortages hatten sich längst verzogen und öffneten den Himmel, sodass die brennend heißen Sonnenstrahlen auf die Erde knallen konnten. Ginta und seine Freunde waren schon seit dem frühen Morgen unterwegs, um es zu schaffen die Wüste in weniger als zwei Tagen zu durchqueren. Bevor sie los gingen, beriet sie noch einmal die Rezeptionistin des Hotels. Sie meinte, es wäre leicht zu schaffen, die Wanderung in zwei Tagen zu bewältigen, wenn man ein kontinuierliches Tempo hätte.

 

Dies versuchte die Gruppe durchzuhalten, doch wurde immer wieder durch die kleinsten Dinge aufgehalten.

 

„Es ist so verdammt heißt“, stellte Jumon fest, der sich mit einem relativ dünnem Buch Luft zufächerte.

 

„Ich will einfach nicht mehr! Diese verdammte Wüste, dieser verdammter Sand... er ist überall!“, beschwerte sich Sayoko und brüllte so laut, dass man es am Rande der Wüste sicherlich noch hören konnte, „Ich habe ihn sogar in meinen Schuhen!“

 

„Beruhige dich...“, seufzte Ginta, „Spare dir lieber die Kraft fürs Laufen...“

 

„Haha! Laufen!“, lachte Tsuru, die von Kûosa getragen wurde.

 

„Ach sei still“, murmelte Sayoko so, dass keiner es verstand, „Du wirst ja getragen...“

 

Sie stapften alle durch den rot-gelben Sand, der so heiß war, dass man die Wärme durch die Schuhe hindurch spürte.

 

Alle schwitzten. Ginta hatte unter seinem Mantel längst sein Shirt ausgezogen, genauso wie Jumon seine Jacke ablegte und Shiana sich ihre Strickjacke um ihre Hüfte band. Kûosa spannte mit seinen Armen eine Jacke so, dass Tsuru genug Schatten hatte. Die Einzige, die sich aber nicht von ihrer Kleidung befreien wollte, war Sayoko.

 

„Warum ziehst du nicht einfach deine schwarzen Klamotten aus?“, meinte Jumon gehässig.

 

„Warum ziehst du nicht einfach deine schwarzen Klamotten aus!?“, äffte Sayoko ihn nach.

 

„Kein Grund gleich so schlecht drauf zu sein“, meckerte Jumon.

 

„Hört endlich auf!“, unterbrach Ginta die beiden plötzlich, „Ja es ist unerträglich warm, aber könntet ihr aufhören euch ständig zu beschweren?“

 

„Tut mir Leid“, sagten beide gleichzeitig und waren fortan stiller.

 

Sie gingen still weiter. Myu, die kleine schwarze Katze streckte ihre Schnauze aus Gintas Tasche, in der sie wie immer umher getragen wurde. Die Hitze machte auch ihr schwer zu schaffen.

 

Shiana blieb kurz stehen und machte eine kleine Pause.

 

„Alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte sich Ginta. Er sah sie an, wie sie sich auf ihre Knie stützte und mehrere kleine Schlücke Wasser zu sich nahm.

 

„Wir können ruhig weitergehen“, sagte sie leise.

 

Dann gingen die Freunde weiter.

 

 

 

Shiana war nicht die einzige, die ständig Pausen einlegen musste. Sayoko war die nächste, die sich den häufigeren Pausen anschloss, bis dann die gesamte Gruppe in regelmäßigen Abständen für einige Zeit stehen blieb.

 

„Ich habe das Gefühl, so kommen wir nie voran“, seufzte Ginta.

 

„Es geht nun mal nicht anders“, wandte Sayoko ein.

 

„Wie lang hält unser Wasser noch?“, fragte sich Jumon und sah in seine fast leere Wasserflasche.

 

„Bei mir nicht mehr allzu lang“, meinte Ginta und trank noch einen Schluck.

 

„Ich hab auch Durst!“, beschwerte sich Tsuru, die sich gleich einen riesigen Schluck Wasser gönnte. Ihr stummer Begleiter Kûosa tippte nur auf ihre Schulter um anzudeuten, dass er auch gern etwas zu trinken hätte. Sie gab ihm ihre Flasche und der Riese trank sie auf einem Zug aus.

 

„Was soll das!?“, weinte sie fast, „Das müssen wir uns doch einteilen...“

 

„Oh nein...“, seufzte Sayoko und sah schon kommen, was kurz darauf geschah.

 

Tsuru fing an lauthals zu weinen.

 

„Aber jetzt haben wir nichts mehr zu trinken, nichts mehr zu trinken!“

 

Sie weinte unaufhörlich, bis Sayoko sie unterbrach.

 

„Hier du kannst noch was von mir haben“, meinte sie kalt und drückte der kleinen Tsuru ihre Flasche in die Hand. Tsuru schniefte.

 

„Danke... aber dann hast du nichts mehr“, entgegnete sie.

 

„Ach, ich hab noch eine Flasche in meiner Tasche...“, log Sayoko. Ginta blickte sie bemitleidenswert an. Er erkannte sofort, dass sie log.

 

„Gehen wir weiter“, schlug der weiß-haarige Junge vor, „Wir schaffen bestimmt noch ein Stückchen...“

 

Doch er sah den Zweifel und die Unlust seiner Freunde. Ob sie nicht lieber hier schon ihr Lager aufschlagen sollten? Oder sollte er seine Freunde bitten nur noch etwas weiter zu gehen... was sollte er machen?

 

„Wir schaffen das bestimmt“, warf Shiana ein, „Nur noch ein bisschen.“

 

„Na gut“, gab Sayoko nach, „Wenn es nur noch ein Stückchen ist.“

 

„Japp...“, schloss sich Jumon an.

 

„Okay, wir schaffen das!“, ermunterte Tsuru letztlich noch alle auf.

 

Ginta fiel ein Stein vom Herzen. Es freute ihn, dass sie die Motivation nicht ganz verloren.

 

Sie wanderten also weiter durch die sengende Hitze.

 

 

 

Plötzlich spürte Ginta, wie jemand etwas Wasser über sein Gesicht schüttete.

 

„Leben sie noch?“, hörte er eine männliche Stimme sagen.

 

„Ja, sie leben alle noch“, sagte eine Frau, „Sie atmen alle noch.“

 

„Wir sollten schnell lieber wieder verschwinden“, meinte der Mann und Ginta merkte, wie er nach den Händen der Frau griff.

 

„Deswegen versuche ich sie ja wieder ins Bewusstsein zurückzuholen. Wir können sie nicht einfach hier liegen lassen, wenn das Dorf angegriffen wird...“

 

Angegriffen? Hat die Frau gerade gemeint, sie wurden angegriffen?

 

Ginta musste schnell wieder aufwachen, sonst würde sicher noch etwas Schlimmes passieren.

 

„Schau, er wacht auf“, sagte die Frau und beugte sich über den Jungen.

 

Ginta öffnete langsam seine Augen und spürte wie trocken sein Mund war.

 

„Wasser...“, sagte er ganz leise und die Frau hielt ihm schon einen Becher Wasser an den Mund.

 

„Hier, trink erst, das ist wichtig.“

 

Ginta fühlte eiskaltes Wasser, das seinen Hals hinunterfloss. War das ein schönes und angenehmes Gefühl gewesen.

 

Dann öffnete er seine Augen ganz. Neben ihm saß eine Frau mit etwas dunklerer Haut und langen schwarzen Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz nach hinten band.

 

„Was... was ist passiert...“, wunderte sich Ginta und stützte sich auf und sah sich um. Er und seine Freunde lagen wohl in einer Art Zelt.

 

„Wir haben euch bewusstlos in der Wüste gefunden und euch mit hier her genommen. Habt ihr ein Glück, dass ihr noch lebt...“

 

„Aber Jory“, wand der Mann ein, „Wenn wir hier nicht so schnell wie möglich verschwinden, leben wir bald nicht mehr...“

 

„Sei nicht so ungeduldig Diran“, wies sie ihn zurück, „Wecke lieber seine Freunde auf.“

 

„Wo sind wir?“, fragte Ginta.

 

„Wir sind in einem Dorf, das in den Ruinen dieser Wüste liegt. Aber wie es aussieht werden wir angegriffen...“, meinte sie.

 

„Angegriffen? Dann...“, wollte Ginta anfangen, doch wurde schnell durch die Frau unterbrochen, „Packt eure Sachen und verschwindet von hier so schnell ihr könnt, das ist kein Vergnügen.“

 

Bedrückt sah sie zu Tsuru und Shiana.

 

Ginta realisierte schnell, was los war.

 

„Wer seid ihr?“, fragte er noch zum Schluss.

 

„Ich bin Jory, das da ist  mein Mann Diran. Wir sind Händler und kommen jede Woche in dieses Dorf, weil wir hier gut Waren verkaufen können. Wir haben euch mit unserer Kutsche aufgegabelt...“

 

„Danke Jory, danke Diran, auch im Namen meiner Freunde“, bedankte sich Ginta.

 

„Wo sind wir...“, wunderte sich Jumon der langsam aufwachte.

 

„Mein Schädel brummt soo...“, beschwerte sich Sayoko.

 

„Jory, Diran, verschwindet lieber von hier! Ich kümmere mich schon um meine Freunde. Bringt euch lieber in Sicherheit...“

 

„Aber...“, wollte Jory einwenden, doch Ginta sah ihr tief in die Augen.

 

„Macht schon...“, forderte er.

 

„Der Junge hat recht, verschwinden wir lieber“, sagte Diran.

 

„Wie heißt du?“, fragte Jory ihn.

 

„Ginta Sabekaze...“, antwortete er.

 

„Passt auf euch auf, Ginta...“, meinte Jory und stand auf. Dann verschwand sie zusammen mit Diran aus dem Zelt und man hörte noch wie sie mit ihrer Kutsche wegfuhren.

 

„Was ist passiert?“, fragte Sayoko, die Ginta perplex anblickte.

 

„Das erkläre ich euch gleich, weckt Tsuru und Shiana auf, wir stecken in einer schlechten Situation...“

 

 

 

Ohne weiter nachzufragen, reagierten Sayoko und Jumon und weckten die beiden Mädchen auf. Auch Kûosa wurde geweckt und Ginta erklärte seinen Freunden kurz, was passiert war und wer sie gerettet hatte.

 

„... Außerdem meinten sie, das Dorf würde angegriffen werden. Ich habe das schlechte Gefühl, dass die Shal mal wieder dahinter stecken.“

 

„Dann sollten wir uns mal aufmachen und sie aufmischen!“, meinte Sayoko und ließ ihre Finger knacken.

 

„Wir sollten aber aufpassen. Bevor wir nicht genau wissen, wie die Situation ist, sollten wir am besten zusammenbleiben. Shiana du bleibst bitte bei Tsuru und Kûosa. Passt auf, dass euch im Notfall nichts passiert. Falls wir getrennt werden, solltet ihr auf jeden Fall zusammenbleiben. Das gilt auch für dich, Sayoko und dich, Jumon.“

 

„Geht klar“, sagte Sayoko, „Und was ist mit dir?“

 

„Ich komme bestimmt alleine zurecht. Bevor ihr aber nach mir sucht, solltet ihr euch alle gefunden haben, das ist wichtiger, klar?“

 

Seine Freunde nickten.

 

 

 

„Also lasst uns einmal abchecken, was da draußen vor sich geht“, murmelte Ginta und stürmte schon nach draußen. Jedoch blieb er im selben Augenblick wieder stehen.

 

Es war nicht die Sonne, die ihn blendete, sondern es war ein Anblick, der ihn schockte.

 

„Ginta, was ist los?“, wunderte sich Sayoko und trat auch nach draußen.

 

„Das... das gibt es doch nicht...“, stotterte sie.

 

Das Zelt in dem sie sich befanden, war auf einem kleinen Hügel am Rande der Stadt aufgebaut, sodass ein Überblick über die ganze Ruine möglich war.

 

„Was ist denn los?“, erkundigte sich Jumon, der mit den Anderen zusammen aus dem Zelt kam.

 

„Sayoko und ich...“, fing Ginta an, „Wir waren schon einmal hier, damals, als wir zusammen ohnmächtig wurden...“

 

Myu sprang aus Gintas Tasche und sah sich um. Die kleine Katze fauchte, als sie in der Ferne einige Staubwolken ausmachen konnte.

 

„Das war die Stadt in der Sayoko und ich eine Art Zeitreise gemacht hatten...“, erklärte Ginta.

 

„Sie sieht aber ganz anders aus als damals“, bemerkte Sayoko, „ein paar tausend Jahre machen viel aus...“

 

„Ginta...“, sagte Shiana ganz leise und lehnte sich an seinen Arm.

 

„Shiana? Ist alles in Ordnung?“, er drehte sich zu ihr. Sie sah schwach aus, als könnte sie sich plötzlich kaum mehr auf den Beinen halten.

 

„Vielleicht hatte sie zu wenig Wasser“, stellte Sayoko fest.

 

„Es ist besser du bleibst erst einmal hier“, schlug Ginta vor, „Tsuru, Kûosa...“

 

„Japp!“, antwortete die Kleine.

 

„Ich habe einen wichtigen Auftrag für euch. Eure Kompetenzen sind äußerst wertvoll für die nächste Mission...“, fing er an gespielt zu erzählen.

 

„Um was geht es denn?“

 

„Ihr müsst Shiana beschützen! Bleibt hier in dieser Festung und beschützt sie, egal was passiert, okay?“

 

Zuerst musste Tsuru nachdenken. Dann jedoch lachte sie ganz laut und rief „Ja!“ in den Himmel.

 

Ginta zerrte Jumon zu sich her und flüsterte ihm etwas ins Ohr: „Sag mal, kannst du nicht einen deiner Geisterfreunde auf sie aufpassen lassen?“

 

„Eh... natürlich“, flüsterte er zurück.

 

„Danke...“

 

Jumon bereitete sich vor und sprach in Gedanken zu einen der Geister, die gerade in der Nähe waren. Schon war auch dafür gesorgt.

 

'Was macht er da?', wunderte sich Sayoko in Gedanken, die alles beobachtet hatte, 'Wir waren ohnmächtig, dieses Dorf hier wird von den Shal angegriffen, Shiana geht es schlecht und er organisiert es auch noch, dass die beiden Mädchen ausreichend Schutz haben, in dem er für Tsuru und Kûosa ein Spiel entwickelt und Jumons Geister auch noch aufpassen lässt. Dabei befinden wir uns in den Ruinen in der Stadt in der wir diese Art Zeitreise gemacht hatten... Ich kann mich kaum bewegen und er... er handelt souveräner als wir alle...'

 

„Seid ihr bereit?“, fing Ginta an und schaute zu Sayoko und Jumon.

 

„Klar“, antwortete Jumon.

 

„Na... Natürlich“, fügte auch Sayoko hinzu, die von der Kraft, die von Ginta ausging, beeindruckt war.

 

„Dann geht’s los!“, rief er aus und die Drei machten sich auf den Weg ins Zentrum des Dorfes.

 

 

 

Menschen liefen wild durch die Straßen der steinernen Ruinen. Manch alte Leute wollten sich zum Schutz in ihren Häusern einsperren, bis sie dann von ihren Kindern und Enkeln aus den Häusern gezogen wurden. Es war eine richtige Massenpanik ausgebrochen.

 

Ginta, Sayoko und Jumon liefen gegen diesen Strom und wurden dabei nicht nur schief angeschaut, weil sie aussahen als wären sie nicht von hier, sondern eben auch, weil sie nicht flüchteten.

 

An einem großen Platz angekommen, entdeckten sie eine alte Frau, die die Flüchtenden koordinierte. Sie zeigte ihnen in welche Richtung sie am besten laufen könnten. Ginta sah sich um, bisher entdeckte er noch keinen einzigen Shal.

 

„Ginta...“, machte ihn Jumon aufmerksam.

 

„Was ist?“

 

„Die Frau da hinten winkt uns her...“

 

Zögernd gingen sie zu ihr.

 

„Wohin wollt ihr denn?“, fragte sie und musterte die Drei.

 

„Wir wollen wissen was hier los ist. Wir haben gehört, dass ihr angegriffen werdet also wollten wir...“, erklärte Ginta, wurde dann aber unterbrochen.

 

„Helfen? Ein paar junge, starke Leuten wollen uns also helfen? Das finde ich klasse!“, lachte sie, „Männer in Schwarz wollen unser Heiligtum stehlen. Wenn es gestohlen wird, kehrt großes Unheil über unser Dorf.“

 

„Großes Unheil?“, wunderte sich Jumon.

 

„So sagt es die Legende. Unsere Priesterinnen-Anwärter sind gerade dabei den Tempel zu verteidigen. Beeilt euch, sonst ist es bald bestimmt schon zu spät.“

 

„Wo ist dieser Tempel?“

 

Die alte Frau zeigte mit ihrem Finger auf eine Straße: „Folgt dieser und ihr gelangt sehr schnell zum Tempel.“

 

„Danke“, bedankte sich Ginta kurz und schon machten sie sich auf den Weg zum Tempel.

 

Sie rannten.

 

Ginta griff in seine Tasche, holte eine Wasserflasche heraus und trank einen kleinen Schluck, dann steckte er die Flasche wieder zurück. Er bemerkte, dass Myu bei Shiana und Tsuru geblieben war.

 

 

 

Schon bald erreichten sie den Vorplatz des Tempels. Der Tempel an sich war aus massivem Stein gebaut und wirkte durch seine Säulen und Schmuckelementen sehr antik. Vor dem Tempel standen noch einige Palmen, sonst war der Platz ziemlich leer.

 

„Das wird ein Spaß“, sagte Sayoko und deutete auf eine riesige Masse an Shal.

 

Es waren bestimmt hundert, zweihundert, nein sogar über fünfhundert Shal, die sich auf diesem riesigen Vorplatz versammelt hatten.

 

Jumon kletterte an einem Haus etwas nach oben und hielt sich an einem offenen Fenster fest.

 

„Dort an den Treppen des Tempels kämpfen drei Leute, ich denke das sind die Guten!“

 

„Dann sollten wir ihnen doch helfen...“

 

Es war schwer sich den Weg durch die Masse zu bahnen, doch letztendlich schafften die Drei es.

 

 

 

„Hey, was macht ihr denn da!? Das ist mein großer Auftritt!“, maulte einer der Damen die Freunde an, als sie sah, wie sie sich durch die Masse kämpften.

 

Es war eine junge dunkelhäutige Frau, mit 4 langen schwarzen geflochtenen Zöpfen. Sie trug ein Kleid an dem Schlaufen und Bänder herumgewickelt waren und sie hielt eine eiserne Stange, an deren Ende eine große Kugel war, in ihrer Rechten.

 

Neben ihr war eine große, ebenfalls junge und dunkelhäutige Frau, die auch lange schwarze Haare hatte. Sie trug ein beiges Oberteil, ein türkises Band im Haar und eine Hose, über die noch ein Rock gezogen war. Sie verpasste gerade einem der Shal einen Hieb mit einer Art Beil, das sie als Waffe nutzte.

 

„Oh, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen!“, quietschte ihre Mitkämpferin, als sie das sah und schlug gleich zwei weitere Shal mit ihrer Waffe bewusstlos.

 

„Hier geht es nicht darum, wer am meisten dieser Banditen besiegt, Uwanari! Es geht hier einzig und allein darum, dass wir den Tempel beschützen können...“

 

„Mach nicht immer aus allem ein Wettbewerb...“, tadelte sie die dritte Person, ein alter gebrechlicher Mann, der einen Stock in den Händen hielt. Er war edel gekleidet und schien, als wäre er der Priester des Tempels.

 

„Aber darum geht es doch!“, meinte Uwanari, „Ich werde nämlich die nächste Priesterin sein!“

 

„Mit dieser Einstellung bestimmt nicht...“, murmelte die andere Frau.

 

„Matra, pass auf!“, rief der Alte, als ein muskulöser Shal sie von hinten mit einem Schwert angreifen wollte.

 

Man hörte das Aufeinanderschlagen von Metall.

 

„Du solltest im Kampf vor allem darauf aufpassen, wer hinter dir steht“, sagte Ginta, der auf einmal hinter ihr stand und mit seiner Waffe den Angriff abblockte.

 

Matra antwortete nichts und stürmte in die Menge der Shal. Sie kämpfte mit all ihrer Kraft.

 

„Hey! Was sollte das!?“, beschwerte sich Uwanari und blickte Ginta an.

 

„Ich wollte doch nur helfen...“, verteidigte er sich.

 

„Aber es geht hier einzig und allein um MICH und Matra, misch dich da nicht ein!“

 

Dann sah sie zu Matra, wie sie gerade wieder eine Haufen von Shal platt machte. Schnell drehte sie sich wieder um und bekämpfte auch einige Shal.

 

„Vielen Dank, Junge“, hörte man den alten Mann, der auf den Treppen stand, „Das wäre sicher schlimm ausgegangen...“

 

„Kein Problem! Was ist hier eigentlich los?“

 

„Diese Leute wollen unser Heiligtum stehlen, doch dagegen kämpfen wir an...“, erklärte der Mann.

 

„Können wir euch helfen?“

 

„Natürlich... Lass dich von dem Streit der zwei Anwärterinnen nicht ablenken, in Ordnung?“

 

„Klar. Sayoko, Jumon, los geht’s!“

 

„Endlich ein paar Shal verkloppen...“, murmelte Sayoko und zückte ihren Dolch.

 

Jumon konzentrierte sich und beschwörte wieder einen seiner Geister herauf, der nicht nur einige Shal fast zu Tode erschreckte, sondern auch mächtig Hiebe verteilen konnte.

 

So kämpften sich die fünf Personen durch die Menge der Shal. Gelegentlich hörte man Schreie und Seufzer von Uwanari, die sich immer und immer wieder darüber beschwerte, dass es doch ihr Kampf sei und dass sie doch die Priesterin werden würde.

 

Doch bis endlich alle Shal vertrieben und oder besiegt wurden, verging schon ein Weilchen. Erschöpft standen sie am Ende wieder vor den Treppen, hielten ihre Waffen noch fest in der Hand warteten nur darauf, bis es endlich passierte.

 

 

 

Plötzlich streckte sich ein riesiger Schatten über den Platz, als hinter dem Tempel hervor eine Art Zeppelin hervorkam.

 

An einem Seil, der an dem Luftschiff befestigt war, rutschte eine Frau herunter. Sie landete auf dem Boden, fiel erst auf die Knie und richtete sich auf.

 

Die Frau hatte kurze, braune Haare und trug eine schmale Brille, die sie wieder etwas nach oben schob.

 

„So, so, so...“, murmelte sie und holte hinter ihrem Rücken ein Schreibbrett hervor.

 

Sie schrieb etwas mit einem Stift darauf.

 

„Das habe ich abgehakt, dies auch... dies und jenes... Mhhh“, sie dachte nach.

 

„Wer ist die?“, wunderte sich Jumon und blickte Ginta fragwürdig an.

 

„Ich... ich habe keine Ahnung...“

 

„Ach, die ist doch jetzt egal“, meinte Sayoko, zuckte mit den Schultern und drehte sich um.

 

„Das ist nicht egal!“, rief die Frau plötzlich und sprintete auf Sayoko zu.

 

Sie packte sie an der Schulter und drehte sie um.

 

„Wenn das egal wäre, dann würde das doch auf meiner Liste stehen, oder!?“, sie drückte Sayoko ihr Brett ins Gesicht.

 

„Halt halt halt! Was soll das?“, Sayoko drückte die etwas kleinere Frau wieder von sich weg.

 

„Mein Name ist Sadikurouro Seihei, ich bin hier, weil ich den Mondkristall entgegennehmen möchte...“, stellte sie sich vor und blickte noch einmal überprüfend auf ihre Liste.

 

„Unser Heiligtum!?“, rief der alte Mann ganz aufgebracht.

 

„Das bekommst du niemals!“, brüllte Matra.

 

„Das kann ich leider nicht durchgehen lassen. Was auf meiner Liste steht wird erledigt!“

 

Sadikurouro befestigte ihr Klemmbrett an ihrem Gürtel und streckte ihren linken Arm aus.

 

„Anscheinend wurden meine Qualitäten als Monarch nicht umsonst dafür benötigt, diesen Auftrag zu erfüllen.“

 

„Das lasse ich nicht zu“, meinte Matra ganz aufgebracht, „Das Heiligtum gehört in diesen Tempel und du wirst es uns nicht wegnehmen!“

 

„Das werden wir sehen“, sagte sie und schob mit ihrer rechten Hand noch einmal ihre Brille etwas nach oben. Dann schloss sie ihre Augen für einen Augenblick.

 

Unter ihrer linken Hand lockerte sich etwas der Boden und kleinere Felsen schwebten ihrer Hand entgegen. Die kleinen und größeren Brocken setzten sich dann zu einem großen Hammer zusammen.

 

Matra, Ginta, Sayoko und Jumon machten sich zum Kampf bereit.

 

 

 

„Ein neuer Punkt auf meiner Liste: Ungeziefer entfernen...“, sagte Sadikurouro und schwang ihren großen, steinernen Hammer.

 

„Niemals!“, brüllte Matra und stürmte auf ihren Gegner zu. Sie zog ein weiteres Beil aus einer Halterung und griff sie an. Doch jeder der Schläge wurde durch den Hammer abgewehrt.

 

Nun griff auch Ginta an. Er rann in einem Bogen auf Sadikurouro zu und schliff mit seinem Kesobou erst einmal auf dem Boden herum, bis er dann mit all seiner Kraft durch einen Schwung von unten nach oben angreifen konnte. Doch schnell wurde klar, dass diese Gegnerin nicht unterschätzt werden durfte. Sie wehrte auch diesen Angriff mit ihrem Hammer ab.

 

„Version B!“, rief sie und der Hammer löste sich auf. Er formte sich nun zu sieben Schwertern um.

 

„Was macht sie da?“, wunderte sich Jumon.

 

„Keine Zeit zum Nachfragen, wir sollten helfen!“, meinte Sayoko und blickte Jumon an, „Es ist Zeit mal was Neues auszuprobieren, meinst du nicht?“

 

Jumon musste erst nachdenken und erkannte dann, was Sayoko meinte.

 

Während also diese zwei sich um eine Art neuen Angriff kümmerten, kämpften Matra und Ginta vergebens gegen Sadikurouro, die mehrere schwebende Schwerter gleichzeitig lenken konnte. Ihre salvenartigen Angriffe hatten eine enorme Geschwindigkeit, gegen die sich Ginta und Matra recht schwer wehren konnten.

 

 

 

Es schien so, als würden die Zwei nicht mehr lange durchhalten können.

 

Sayoko und Jumon stellten sich gegenüber und konzentrierten sich und ihre Energien, sodass sich langsam vor ihnen eine Art Energiekugel bilden konnte.

 

„Es funktioniert also doch“, stellte Sayoko fest und schnaufte leicht.

 

„Mit genug Konzentration“, grinste Jumon, „Na dann mal los... Ginta! Pass auf!“

 

Ginta drehte sich schnell um, erkannte, was seine Freunde dort zustande gebracht hatten und sprang auf die Seite. Nun konnten sie diesen Energieball losfeuern.

 

Doch leider war der Ball nicht schnell genug, sodass Sadikurouro die Schwerter auflösen konnte, um sich daraus ein Schild zu formen. Dies ging wohl in die Hose.

 

 

 

„HALT!“, schrie plötzlich Uwanari, „Das hat doch alles keinen Sinn!“

 

„Uwanari...“, murmelte der alte Mann und ging zu ihr, „Du hast doch irgendwie Recht...“

 

„Ich will endlich meine Belohung!“, brüllte sie mit all ihrer Kraft, sodass man sich schon fast die Ohren zuhalten musste.

 

„Was für eine Belohnung?“, wunderte sich der Alte.

 

„Ja, dafür, dass ich den Kristall gestohlen habe!“, sie stampfte mit ihren Füßen auf den Boden, „Du da hast mir versprochen, dass ich Priesterin werde, wenn ich ihn dir gebe!“

 

Sie zeigte auf Sadikurouro Seihei.

 

„Das wirst du auch werden, wenn du mir den Stein gibst und mit uns kommst... Dann wirst du noch in weniger als einer Stunde zur Priesterin, versprochen“, erklärte Sadikurouro und schrieb wieder etwas auf ihr Klemmbrett.

 

„Endlich!“, quietschte Uwanari und ging zu der Monarchin. Dann holte sie einen glitzernden Brocken von Kristallen aus ihrer Tasche und überreichte ihn Sadikurouro.

 

„Auftrag erledigt...“, sagte sie, strich noch etwas von ihrer Liste und sprang auf ihr Schild, das nun parallel zum Boden schwebte, „Komm mit, Uwanari, du wirst reichlich belohnt werden...“

 

Uwanari stieg mit auf den Felsbrocken und beide schwebten hinauf zum Luftschiff.

 

„NEIN!“, brüllte Matra, die sich auf ihre Knie fallen ließ. „Was soll das, Uwanari!? Was machst du da!?“

 

„Jetzt wird großes Unheil über unser Dorf kommen“, murmelte der Mann immer und immer wieder.

 

„Wie kann sie nur... Wir waren doch Freunde...“, seufzte Matra und blickte Uwanari hinterher, die fies grinsend auf dem Felsbrocken in Richtung Zeppelin schwebte. Dann verschwanden sie im Zeppelin, der langsam davonflog.

 

Die Freunde konnten gar nicht richtig realisieren, was gerade vor sich ging. Die Monarchin Sadikurouro Seihei ist zusammen mit einer Freundin von Matra und Einwohnerin des Dorfes mit ihrem Heiligtum abgehauen.

 

„Diese Shal...“, meinte Ginta.

 

„Ich... ich werde...“, fing Matra an und stand wieder auf, „Ich werde sie zurückholen! Uwanari und das Heiligtum. Ich kann nicht verstehen, was das gerade sollte, aber ich werde sie definitiv zurückbringen!“

 

„Matra...“, murmelte der Alte.

 

„Ich verspreche, dass ich das Heiligtum so schnell wie möglich zurückholen werde und diese Leute dafür büßen lassen werde...“

 

 

 

Ginta atmete einmal tief ein und aus. Es war alles so aufbrausend und die Dinge geschahen so plötzlich. Er griff nach seinem Amulett, als er sich plötzlich einbildete, eine Vibration zu spüren. Doch nun war sie nicht mehr da. Hatte es reagiert?

 

Die Shal hatten gerade weiterhin Chaos hinterlassen und eine weitere Stadt ihrer Schätze beraubt, vielleicht war er deswegen einfach nur aufgewühlt.

 

„Diese Leute“, erklärte Ginta, „gehören zu der Schattenallianz. Wir sind gerade auf dem Weg zum Hauptquartier um die Pläne dieser Leute für ein und allemal zu stoppen...“

 

„Ihr seid eine Gruppe, die gegen diese Leute kämpfen?“, wunderte sich der Alte.

 

„Ja, die Shal haben schon viel zu lange die Welt terrorisiert...“, meinte Ginta und ballte eine Faust.

 

Der alte Mann grübelte und grübelte. Dann kam er zu einem Entschluss.

 

„Matra, hör zu. Ich ernenne dich hiermit zur Priesterin des Tempels und übertrage dir die volle Verantwortung für alles, was in der Zukunft auf dich wartet“, fing der alte Mann an und nahm Matras Hand, „Du hast gesagt, du willst sie zurückholen...“

 

„Ja, ich will Uwanari und das Heiligtum zurückholen“, antwortete sie entschlossen.

 

„Begleite diese Leute, denn sie kennen sich anscheinend aus und hole uns den Stolz des Dorfes zurück...“

 

„Aber... ich kann das auch allein!“, wehrte sie sich, während sie Sayoko, Jumon und Ginta genau musterte.

 

„Kein Aber! Diese Leute sind ehrliche Leute und sie haben alle ein gutes Herz, das spüre ich“, erklärte er und sah sich die Freunde ebenfalls an.

 

„Wir würden uns freuen, wenn du uns begleitest“, lächelte Ginta.

 

„Dann haben wir eine starke Person mehr in unserer Gruppe“, meinte Jumon und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf, „Ich hab ja gesehen wie gut du kämpfst.

 

„Dann werde ich euch begleiten müssen...“, gab Matra nach und brummte.

 

„Wir schaffen das schon, euer Heiligtum zurückzuholen“, meinte Ginta und reichte ihr die Hand, „Auf gute Zusammenarbeit.“

 

Zögernd reichte Matra ihm die Hand und schüttelte sie. Sie sah ein, dass es für den Moment keinen anderen Weg gab, ihr Ziel zu erreichen.

 

„Willkommen in unserem Team“, hießen die Drei sie willkommen.

 

„Dann sollten wir uns sofort auf den Weg machen...“, sagte sie zuletzt.

 

 

 

An diesem frühen Abend packte Matra all ihr Zeug und verabschiedete sich von dem alten Mann und einigen anderen Stadtbewohnern, während Ginta und die anderen Shiana, Tsuru und Kûosa abholten. Shiana schien es besser zu gehen. Sie warteten am Tor auf Matra und begrüßten sie noch einmal herzlich in ihrem Team. Natürlich wurden ihr die Mädchen und Kûosa vorgestellt und Matra war sehr erstaunt, was Kûosa für ein Wesen war und vor allem auch wie jung die Mitglieder der Gruppe überhaupt waren.

Sie selbst stellte sich so kurz wie möglich vor. Sie 20 Jahre alt. Schon immer wollte sie Priesterin werden. Nun war sie eine.

Zwischenkapitel 2 – Fluchtversuche

 

 

 

„Nichts als Papiere“, beschwerte sich ein junger Mann mit grauen Haaren und schob einen Stapel Dokumente auf seinem Tisch beiseite.

 

„Da musst du leider durch“, meinte seine grün-haarige Sekretärin.

 

„Kann ich nicht auch einmal wieder Freizeit haben? Seit Wochen schon unterzeichne ich ständig irgendwelche Anträge und oder lehne sie ab. Und vergessen wir nicht die ständigen Treffen und Podiumsdiskussionen die ich abhalten muss...“

 

„So ist das halt, als Bürgermeister“, entgegnete sie und legte wieder einige zusammengeheftete Papiere auf den Tisch, „Aber du schaffst das schon...“

 

„Muss ich ja wohl“, seufzte er, „Wer ist heute dran, sich um unsere Gefangene zu kümmern?“

 

In diesem Moment öffnete sich die Tür und weiterer junger Mann mit Kopftuch kam herein.

 

„Ich bin heute dran und geh gleich runter. Hallo Ninsei und Jôô, schön euch zu sehen“, begrüßte er die Zwei.

 

„Wie geht es dir, Chojiro?“

 

„Ganz gut. Ich habe mit den Kindern heute eine Art Sommerfest geplant, darum werde ich auch schnell wieder verschwinden. Der Herr Bürgermeister ist natürlich auch eingeladen...“

 

„Ah! Das wollte ich hören“, atmete Jôô auf, „Endlich etwas Freizeit...“

 

„Und was ist mit mir?“, erkundigte sich Ninsei, „Ich etwa nicht?“

 

„Doch, natürlich, wenn der Bürgermeister kommt, darf seine Freundin nicht fehlen, nicht wahr?“, lachte Chojiro.

 

„Da hast du vollkommen recht“, lachte auch Jôô.

 

„Ich gehe gerne mit dir, Jôô“, meinte Ninsei, „Aber vorher musst du dich noch um die Papiere kümmern...“

 

„Das ist mein Stichwort, ich gehe runter zu Ashizamani und bringe ihr das Essen...“

 

„Nein!“, rief Jôô aus, „lass mich doch nicht alleine...“

 

Er streckte seinen Arm nach Chojiro aus und fing das Heulen an. Dieser grinste nur, streckte seine Zunge heraus und verschwand.

 

„Jetzt sei doch nicht so...“, murmelte Ninsei und beugte sich zu ihm herunter, „Wenn du noch ein paar Dokumente abarbeitest, habe ich heute Abend nach dem Sommerfest sogar eine kleine Überraschung für dich...“

 

Sie küsste ihn und verschwand dann auch.

 

Jôôs Kopf knallte auf den Tisch.

 

„Auf geht’s“, murmelte er und zerrte ein paar Dokumente vom Stapel.

 

Nicht viel Zeit verging und die Tür wurde wieder aufgeknallt.

 

Es war Chojiro, der aufgebracht Jôô anstarrte.

 

„Was ist los?“, wunderte sich der Bürgermeister von Hakata.

 

„Sie ist weg...“

 

„Wie sie ist weg?“

 

„Ashizamani, sie ist geflohen!“, erklärte Chojiro.

 

„Das kann nicht sein!?“

 

Jôô stand auf, kramte etwas aus seiner Schublade und rannte zusammen mit seinem Freund zum Keller, in dem sich die kerkerartige Zelle befand.

 

Dann standen sie vor der offenen Zelle.

 

„Sie ist tatsächlich nicht mehr da...“, murmelte Jôô.

 

„Anscheinend hat sie irgendein Weg gefunden, das Schloss zu öffnen...“

 

„Wir müssen sie finden, vielleicht ist sie noch irgendwo in der Stadt!“, meinte Jôô.

 

„Okay, suchen wir sie“, antwortete Chojiro und beide gingen los um nach Ashizamani Odoro zu suchen.

 

 

 

 

 

Die Sonne schien in ein kleines Apartment in Yofu-Shiti. Ein schwarz-haariger Mann wachte auf.

 

„Oto...“, murmelte er und gähnte noch einmal herzhaft, „Du musst aufstehen...“

 

„Ama...“, nuschelte sie und schmiegte sich noch mehr an seinen nackten Oberkörper.

 

„Wach schon auf, du wolltest heute doch noch in die Bibliothek gehen...“

 

„Stimmt“, gähnte sie, „Ich wollte mich heute um meine Recherchen kümmern... Aber ich will nicht aufstehen, du bist so warm.“

 

Ama wurde rot. Er war es einfach immer noch nicht gewohnt, so zu leben.

 

Nachdem Oto und er im Med-Dorf blieben, fing ihre Ausbildung an und Ama kümmerte sich in der Zwischenzeit um Recherchen, die seine Familie betreffen. Yofu-Shiti ist eine Metropole, in der ständig die verschiedensten Menschen ein und aus gingen. Da kommt man sehr leicht und schnell an die Informationen, die man braucht.

 

Oto stand auf und verschwand im Bad. Mit seiner Hand fuhr Ama über die noch warme Stelle des Bettes, auf der bis vor dem kurzen Augenblick Oto lag.

 

Sie machte sich fertig, putzte ihre Zähne und zog sich an. Dann sollte es auf gehen zur Bibliothek in dem Krankenhaus, in der sie ihre Ausbildung anfing.

 

Es war ein schöner Morgen und wie immer lief sie über die schöne Marktstraße. Das frische Obst und Gemüse, die Leute die so früh schon wach waren und der Geruch der Luft erheiterten sie jedes Mal aufs Neue.

 

Es war wundervoll in Yofu-Shiti zu leben. Doch es wäre noch schöner, wieder bei Ginta und den Anderen zu sein. Ab und zu bereute sie es, nicht weiter auf Reisen gegangen zu sein und sie fragte sich oft, was für Abenteuer sie wohl verpassen würde. Sie vermisste Ginta, die kleine Katze Myu, Sayoko, die eigentlich doch nett war und die ruhige Shiana. Selbst Ryoma mit seinen schlechten Flirtversuchen vermisste sie. Sie fand auf ihrer gemeinsamen Reise doch sehr gute Freunde.

 

Nun war sie da. Erst stand sie noch vor dem großen Gebäude, hielt einige Sekunden inne und betrat dann das Krankenhaus. Schnell hatte sie sich an die Leute gewöhnt und grüßte sie mit voller Freude. Sie fand sich auch schnell zurecht und ging schnurstracks zur Bibliothek.

 

Es war ein schöner Morgen, bis Oto das erlebte, was sie an diesem Morgen erlebte.

 

Sie lag ihre Hand auf die Klinke der Tür und öffnete diese. Doch sie zögerte in den Raum zu gehen. Sei es eine böse Vorahnung oder einfach nur das Hören komischer Geräusche.

 

„Hallo? Ist da wer?“, fragte sie, als sie eigenartige Geräusche hörte.

 

An ihren Alltag hatte sie sich auch schnell gewöhnt, weswegen sie jede kleinste Änderung darin sofort wahrnahm. Oto wusste ganz genau, dass um diese Uhrzeit in der Bibliothek  eigentlich keiner war. Genau deswegen ging sie ja um solch eine frühe Uhrzeit dorthin. So konnte sie in Ruhe lernen.

 

„Wer ist da?“, fragte sie noch einmal und schritt etwas weiter in den Raum. Sie lief hinein und schaute sich nach jedem Regal um.

 

Sie lief weiter und das Rascheln hörte nicht auf.

 

Am Ende des Ganges war ein abgetrennter Bereich, der durch Gitter versperrt wurde. In diesem Bereich war das Stadtarchiv, in dem sich alle Informationen und Dokumente der letzten Jahrzehnten befand. Nur autorisierte Personen hatten da Zugriff, das wusste Oto genau.

 

„Ist da wer?“, fragte sie noch einmal und blieb vor der Tür stehen. Die Blonde betrachtete die Tür etwas und merkte, dass das Schloss nicht aufgeschlossen, sondern eher aufgebrochen wurde.

 

„Was machen sie da?“, hakte sie nach und ging weiter.

 

Doch die Person antwortete nicht.

 

Sie blieb nun zwischen zwei Regalen stehen. Entsetzt hielt sie sich die Hand vor den Mund und blickte die Person, die die Klamotten eines Shal trug, fassungslos an.

 

„Was... was machst du hier?“, stotterte sie, als sie erkannte, wer die Person unter der Kapuze war.

 

Doch die Person antwortete nicht.

 

„Stiehlst du etwa? Was machst du mit den ganzen Dokumenten? Hör auf damit!“, schrie sie.

 

Die Person drehte sich vollends in ihre Richtung und senkte ihren Kopf.

 

„Mir bleibt nichts anderes übrig“, murmelte die Person und öffnete geschickt das Fenster auf der Rückenseite mit einem Schwert, das auf den Rücken gebunden wurde. Mit einen kleinen Hopps sprang die Person aufs Fensterbrett und dann aus dem Fenster.

 

Oto stand da und konnte es nicht fassen, „Wieso... wieso tust du das?“

 

Sie stürmte zum Fenster und blickte hinunter, doch die Person mit der Kapuze war schon längst verschwunden.

 

„Ginta...“, murmelte sie und ging.

 

 

 

 

 

An einem dunklen Ort ging ein großer Bildschirm an und die Silhouette einer Person war schwach zu erkennen.

 

„Was >>chhzz<< gibt es?“, sagte die Person.

 

„Unsere Pläne wurden schon wieder fast von dieser Gruppe von Kindern durchkreuzt...“, erklärte eine kleine Person vor dem Bildschirm.

 

„>>chhzz<< Schon >>chhzz<< wieder? Beseitigt dieses >>chhzz<< Problem“, die Person auf dem Bildschirm wurde immer wieder von einer schlechten Verbindung unterbrochen.

 

„Sie wären perfekte Kandidaten für die Insel“, schlug der kleine Mann vor.

 

„Dann >>chhzz<< schickt sie doch auf die >>chhzz<< Insel“, befahl die Silhouette.

 

„Geht klar. Das wars von meiner Seite, ich erstatte bald wieder Bericht“, erklärte der kleine Mann, schaltete den Bildschirm aus und gab ein unheimliches Kichern von sich, „Viel Spaß auf der Insel, ihr Gören.“

 

Dann brach er völlig in krankem Gelächter aus.

 

Kapitel 49 – Die Insel

 

 

 

„Hey Matra, warte doch“, rief Ginta und stürmte nach vorn.

 

Die Freunde waren auf dem Weg, die Wüste zu verlassen. Matra ging es nicht schnell genug.

 

„Lauft ein wenig schneller“, brummte sie.

 

Ginta stapfte durch den Sand.

 

„Wir sind den Sand nicht so gewöhnt wie du, bitte hab etwas Rücksicht“, meinte er.

 

„Ihr seid wirklich langsam...“, murmelte sie und starrte in die Ferne.

 

„Hör mal...“, wollte Ginta anfangen, doch er sprach nicht weiter, nachdem Matra ihn etwas kühl anblickte.

 

'Sie ist wohl nicht so gut gelaunt...', dachte sich der Junge mit den weißen Haaren, 'Kein Wunder, nach dem was passiert ist...'

 

Derweil lief Matra schon etwas langsamer. Vielleicht sah sie ein, dass es nichts brachte so zu hetzen, ohne dass die anderen überhaupt mitkamen.

 

 

 

Shiana schloss auf Matra auf und lief still neben ihr her. Sie bemerkte schnell, dass Ginta bedrückt war.

 

Sayoko wurde neugierig. Sie wusste noch nicht genau, was sie von Matra halten sollte. Sie war so dominant und kühl. Es erinnerte sie etwas an sich selbst.

 

„Was ist das für eine Art von Priesteramt?“, erkundigte sie sich dann.

 

„Der Tempel unseres Dorfes beherbergt eigentlich das Heiligtum, welches unser Volk und das Dorf vor bösem Einfluss schützt. Die Priesterinnen sind dafür da, eine Art Medium zwischen Heiligtum und den Menschen darzustellen. Das ist eine sehr wichtige Arbeit“, erläuterte Matra kühl.

 

„Ich habe davon gelesen“, warf Jumon ein, „Dieses Heiligtum soll angeblich eine Art Mondkristall sein, nicht wahr?“

 

„Das Heiligtum ist in der Tat ein Kristall, der schon über Jahrhunderte, nein sogar Jahrtausende im Tempel bewacht wurde.“

 

Matra ballte unbemerkt ihre Faust.

 

„Deswegen ist es eine wichtige Aufgabe, das Heiligtum zurück zu holen.“

 

 

 

Ginta atmete erleichtert auf. Der erste Schritt, Matra in die Gruppe einzugliedern, war schon getan. Es freute ihn, wie sie sich mit den anderen unterhielt und dabei lockerer wurde. Sein Amulett vibrierte wieder leicht.

 

„Wer war eigentlich dieses andere Mädchen?“, hakte Sayoko nach. Es wirkte so, als würde sie das eigentlich nicht interessieren, aber trotzdem fragte sie. Vielleicht weil sie merkte, dass Ginta sich nicht traute, diese Fragen zu stellen.

 

„Das war Uwanari“, brummte Matra und lief wieder einen Schritt schneller, „Sie war eine alte Freundin, die mit mir zusammen Anwärterin des Priesterinnenamtes war...“

 

„Doch sie hat euch anscheinend hintergangen...“, meinte Sayoko und verschränkte ihre Haare hinter dem Kopf, während sie einen überheblichen Gesichtsausdruck annahm.

 

„JA!“, brüllte Matra und drehte sich um, „Deswegen ist es mir so wichtig, dass ich das Heiligtum und sie selbst so schnell wie möglich zurückhole!“

 

Matra lief schneller.

 

„Ist sie empfindlich...“, nuschelte Sayoko so leise, sodass sie keiner hören konnte.

 

„Warte doch“, sagte Shiana, „bitte warte doch...“

 

Ginta wollte auch etwas sagen, bevor er seine Worte fand, wurde ihm schwarz vor Augen und fiel um. Er hörte noch, wie seine Freunden in den Sand stürzten, bevor er in Ohnmacht fiel.

 

 

 

Einige Zeit verging, bis Ginta wieder zu sich kam. Es war kalt und seine Haare stellten sich am gesamten Körper auf. Er spürte ein starkes Brummen im Kopf und ein Ziehen im Rücken. Was war passiert?

 

Vorsichtig richtige sich Ginta auf.

 

„Autsch...“, gab er von sich und hielt sich den Kopf, „Wo... wo bin ich?“

 

Das, was er unter sich spürte war kein Sand. Es war Holz, altes verrottetes Holz. Außerdem war es feucht. Feucht? Sollte er nicht irgendwo in der Wüste sitzen? Oder wurde er ohnmächtig und seine Freunde haben ihn bis zum Rand der Wüste getragen?

 

Wo war er?

 

Ginta sah sich um. Es war neblig und er erkannte nicht viel. Doch das, was er zu erkennen vermag, schockte ihn.

 

Der 15-Jährige saß halbnackt in einem Boot, das an einem Ufer stand. Das Rauschen des Wassers, der Wellen hämmerte sich schmerzhaft in seinen von Kopfschmerzen geplagten Schädel.

 

„Shiana?“, fragte er und schaute sich noch einmal um, „Jumon? Sayoko? Tsuru? Matra? Seid ihr da?“

 

Er bekam keine Antwort.

 

Es war immer noch kalt und Ginta entschloss sich den Boden des Bootes nach etwas abzusuchen. Das, was er fand war sein klappbaren Klingenstab und ein weißes Laken. Er wickelte das Laken um sich und steckte seine Waffe innen hinein. Dann stand er auf und stieg aus dem Boot. Er fühlte den feuchten Sand unter seinen Füßen.

 

„Ist jemand da? Hallo?“, er lief ein wenig umher und der Nebel schien immer dichter zu werden.

 

Er lief noch eine Weile am Ufer entlang.

 

„Wo bin ich hier?“, redete er mit sich selbst, „Was mache ich hier? Ist das ein schlechter Traum?“

 

Ginta kniff sich in den Oberarm.

 

„Autsch... Anscheinend doch kein Traum...“, sagte er.

 

Er wäre noch weiter das Ufer entlang gelaufen, um etwas zu finden, wäre Ginta nicht plötzlich über etwas gestolpert.

 

„Was war denn das?“, er richtete sich auf und blickte zurück. Tatsächlich lag da noch eine Person. Doch sie bewegte sich nicht.

 

Zögernd stand er auf und ging zu der Person. Es war ein Junge, der bestimmt so alt war wie Ginta selbst. Der Weiß-Haarige kniete sich neben den Jungen und versuchte ihn vorsichtig aufzuwecken.

 

Der Junge war ebenfalls halbnackt und seine mittellangen Haare waren genauso rabenschwarz wie der Kapuzenpullover, der auf ihm lag.

 

„Hey, wach auf...“, wiederholte Ginta immer wieder und ruckelte an seiner Schulter, „Wach doch auf...“

 

Auf einmal griff der Junge nach Gintas Arm und riss seine Augen auf.

 

„Ich bin da! Endlich bin ich da!“, schrie er und sprang auf seine Beine, „Wo ist es...“

 

Er schaute sich wild um und entdeckte nicht weit von ihm entfernt einen Bogen und einen Köcher mit einige Pfeilen darin, was er sich beides gleich schnappte.

 

„Wer bist du denn?“, wunderte er sich.

 

„Wer bist du!?“, entgegnete Ginta, der sich darüber wunderte, wie enthusiastisch sein Gegenüber es begrüßte, hier aufgewacht zu sein.

 

 

 

Der Junge mit den schwarzen Haaren schnappte sich den Pullover und striff ihn sich über.

 

„Ein Laken, was? Sieht ja echt bescheuert aus...“, antwortete er nur und gab einen kleinen Lacher von sich.

 

„Was soll das heißen!?“

 

Ginta ließ sich gerade leicht provozieren.

 

„...Und was ist deine Waffe?“, fragte der Junge und überprüfte, ob mit seinem Bogen alles stimmte.

 

„Was soll das hier? Wo sind wir? Und wer bist du?“

 

„Ohman, du weißt aber auch gar nichts, oder?“, seufzte der andere und stellte sich vor, „Mein Name ist Yuu. Wir sind hier auf der Insel.“

 

Der Insel?“, wunderte sich Ginta.

 

„Du hast noch nicht einmal mitbekommen, wie dich die Shal angegriffen haben? Man bist du lahm...“

 

„Die Shal!? Die stecken also dahinter!?“

 

Ginta stand auf. Er war vollkommen aufgebracht.

 

„Du bist wirklich langsam“, stellte Yuu fest und drehte sich um. Es schien so als ob er gehen würde.

 

 

 

„Was machst du da?“, fragte Ginta.

 

„Ich mach mich auf den Weg, was soll ich hier sonst machen?“

 

„Du kannst mich hier nicht allein lassen! Ich weiß nicht mal wo ich bin und...“, Ginta hielt kurz inne, „Du scheinst dich hier ja gut auszukennen...“

 

„Du bist mir echt ein Klotz am Beim, stelle ich fest...“, murmelte Yuu und im nächsten Moment hatte er seinen Bogen schon gespannt gehabt und schoss einen Pfeil direkt auf Ginta. Dieser wehrte diesen Pfeil blitzschnell mit seinem Schwertstab ab.

 

„Was soll das denn!?“

 

„Ah, gute Reflexe, wenigstens bist du darin schnell... Lass uns doch ein wenig Kämpfen... Ich muss mich aufwärmen bevor ich die Shal finde!“

 

„Was!? NEIN!“, wehrte sich Ginta, doch Yuu hörte nicht auf ihn. Der Schwarz-Haarige stürmte auf ihn zu und griff ihn mit einem der Pfeile, den er in der Hand hielt, kontinuierlich an. Sie tauschten einige Angriffe aus und Ginta merkte, dass Yuu nicht zu unterschätzen war. Doch eigentlich wollte er gar nicht kämpfen. Das, was Ginta wollte, war seine Freunde zu finden. Shiana, Sayoko, Jumon, Tsuru, Kuôsa und Matra. Er hatte keinen Nerv, sich auch noch um diesen Jungen zu kümmern.

 

„Du hast gesagt, das waren die Shal?“, fragte Ginta, während sie weiterkämpften.

 

„Natürlich, wer sonst.“

 

„Woher weißt du so viel darüber?“

 

„Ich war schon einmal hier...“

 

„Wieso!? Und wieso freust du dich, dass du wieder hier bist?“

 

Wieder wurden einige Angriffe ausgetauscht.

 

„Ich habe hier etwas verloren, das ich wieder haben will...“

 

Ginta blickte Yuu tief in die Augen. Da war noch mehr.

 

„Du willst auch gegen die Shal kämpfen...“

 

„Ja“, antwortete Yuu.

 

Ginta blieb stehen und klappte seinen Stab wieder zusammen.

 

„Lass mich dir helfen... Ich habe meine Freunde verloren und den Shal verpass ich gerne einen Denkzettel!“

 

Yuu blieb auch stehen. Ein eigenartiges Gefühl lief ihm den Rücken runter. Doch es war kein unangenehmes, oder gänzlich negatives. Positiv war es aber auch nicht. Einfach undefinierbar.

 

„Gut...“, gab er nach, „Aber wenn du mir eine Bürde bist, dann lass ich dich allein...“

 

„Keine Sorge, das werde ich schon nicht...“, meinte Ginta und steckte seinen Stab wieder in das Laken.

 

Yuu schnallte sich den Köcher um und hielt den Bogen fest in der Hand.

 

„Hier geht es entlang“, sagte er und lief ein kleine Böschung nach oben. Der Nebel ließ etwas nach und es schien, als wären sie an einem Wald ausgesetzt worden.

 

 

 

„Wie bist du das erste mal hier her gekommen?“, erkundigte sich Ginta, während er sich durch die Sträucher kämpfte. Stacheln kratzten an seinen nackten Beinen.

 

„Es war nicht lange her“, fing er an zu erzählen, „Da kamen Männer in schwarzen Mänteln in unser Waisenhaus...“

 

„Die Shal“, unterbrach Ginta ihn.

 

„Genau, die Shal... Sie schnappten sich einfach einige Kinder für ihre Experimente. Sie verschleppten mich und einige andere hier her. Sie machten Tests, wie lange es wir wohl aushalten würden, hier zu überleben. Es war schrecklich...“

 

„Du suchst nach einer Person, richtig?“, vermutete Ginta.

 

Erst sagte Yuu nichts, doch dann sprach er weiter: „Mein Bruder muss hier noch irgendwo sein... Ich weiß es...“

 

„Wie lange ist das her?“, hakte Ginta nach.

 

„Waren es zwei... oder schon vier Jahre? Ich weiß es nicht mehr...“

 

Ginta dachte nach. Vier Jahre? Konnte man hier vier Jahre überleben? Weit und breit sah er weder Tiere noch irgendetwas anderes, von dem man sich ernähren konnte.

 

„Sie machen sich einen Spaß daraus...“, erzählte Yuu weiter, während die Zwei über einen mit Moos bewachsenen Boden gingen, „Sie machen sich einen Spaß daraus die Leute zu quälen. Wie du gemerkt hast, wurdest du nicht alleine ausgesetzt. Ich war in deiner Nähe. Das ist ihre Taktik.“

 

„Taktik?“

 

„Du wachst auf und merkst, dass in der Nähe noch eine Person ist. Klar schließt du dich mit der Person zusammen, weil du nicht weißt wo du bist und was geschah. Strategie. Es ist auch geplant, dass du nur ein Kleidungsstück bekommst. Sie wollen uns erniedrigen...“

 

„Und wozu haben sie uns, unsere Waffen gelassen?“

 

„Auch Strategie. Was denkst du, was wir mit den Waffen machen sollen?“

 

„Uns wehren. Aber das benachteiligt doch die Shal...“

 

„Teils richtig, teils falsch. Klar sollen wir uns wehren, aber nicht gegen die Shal. Wir sollen sie auch nicht angreifen. Wir sollen uns angreifen.“

 

„Wieso sollten wir uns gegenseitig angreifen?“

 

„Wie gesagt, das ist ihre Strategie. Wie du sicherlich schon bemerkt hast, gibt es auf der Insel keine Tiere und kaum pflanzliches Zeug, was wir Menschen zumindest essen könnten.“

 

„Du meinst...“, Ginta war geschockt.

 

„Richtig, sie wollen, dass wir uns gegenseitig abschlachten...“

 

„Diese Shal...“, murmelte Ginta. In ihm entbrannte wieder diese unendliche Wut.

 

„Du hast hier wohl Freunde?“, bemerkte Yuu, „Das merkt man dir sofort an...“

 

„Ich habe Angst, dass ihnen etwas zustößt...“, antwortete Ginta.

 

„Da bin ich ja mal gespannt“, meinte Yuu, „Das Spiel hat gerade erst begonnen. Wer weiß, wer noch alles auf dieser Insel ist...“

 

„Wohin gehen wir überhaupt?“

 

„Das wirst du später noch sehen“, meinte der schwarz-haarige Junge. Dann liefen sie weiter durch den nebligen Wald.

 

 

 

Währenddessen kamen auf der anderen Seite der Insel zwei ganz andere Personen wieder zu sich, nachdem sie ein lautes Schreien hörte.

 

„Ah, wo bin ich hier... Wer ist so laut...?“, brummte Sayoko, „Wieso bin ich denn halbnackt!?“

 

Sie schrie, als sie erkannte, was sie da nur anhatte.

 

„Wer war das!?“, brüllte sie und sah sich um.

 

„Beruhige dich...“, meinte Matra die ganz gelassen neben ihr saß, „Endlich bist du wach...“

 

„Wo sind wir hier?“, wunderte sie sich.

 

Matra saß neben ihr und hatte einen einteiligen Badeanzug an.

 

„Ich habe keine Ahnung wo wir sind... Zieh das erst mal an...“

 

Matra warf Sayoko ein sehr enges Cocktailkleid zu, das auch noch einen riesigen Ausschnitt hatte.

 

„Wieso soll ich das denn tragen!?“, beschwerte sich die Pink-Haarige.

 

„Weil es mir nicht passt...“, entgegnete Matra und stand auf, „Dein Dolch liegt neben dir. Schnapp ihn dir sobald du dich angezogen hast und dann sollten wir losgehen und die anderen finden...“

 

So schnell wie möglich zog sich Sayoko an und schnappte sich den Dolch, wie es Matra wollte.

 

„Was ist passiert?“

 

„Wir wurden angegriffen, schätze ich“, erklärte Matra, „Und hier her verschleppt...“

 

„Aber wer und wieso...“

 

„Kannst du dir das nicht denken?“

 

Sayoko grübelte nach und dann wurde es ihr klar, wer sonst, außer die Shal, hätten es sein können?

 

„Wir müssen die anderen unbedingt finden...“

 

„Wo die wohl sind?“, wunderte sich Sayoko und sah sich etwas um. Es war echt kalt und durch den Nebel konnte man kaum hundert Meter weit sehen.

 

 

 

An der nördlichen Küste der Insel knurrte einem kleinen Mädchen mächtig der Magen.

 

„Ich habe Hunger!“, schrie es, sodass man es sicherlich auf der ganzen Insel hören konnte und zerrte am Fell seines bärigen Begleiters.

 

„Tsuru, beruhige doch doch endlich...“, seufzte Shiana, die sich gerade zu orientieren versuchte.

 

„Aber ich habe so schrecklichen Hunger! Ich kann nicht mehr weitergehn!“, brüllte das grün-haarige Mädchen.

 

„Wir finden sicher bald was zu essen, nur beruhige dich und hab etwas Geduld“, versuchte Shiana sie zu beruhigen.

 

„Aber ich will nicht!“, qietschte Tsuru so laut wie sie nur konnte und zerrte weiter am Fell des Hasenbären. Kûosa sah Shiana mitleidig an und bat sie innerlich, etwas dagegen zu tun.

 

Shiana griff in die Jacke.

 

Als die zwei Mädchen aufwachten, waren beide bis auf ihre Unterwäsche ausgezogen. Neben dem Bären lagen zwei Kleidungsstücke: eine Latzhose, die sich Tsuru anzog, weil sie ihr fast perfekt passte und Gintas Jacke, die er trug, als sie auf dem verschneiten Berg waren. Shiana zog sich die Jacke an, die ihr bis zur Hälfte des Oberschenkels ging. Zum Glück hielt sie das blau-haarige Mädchen doch recht warm.

 

Sie zog ihre Hand wieder aus der Tasche und hatte Gintas Amulett in ihrer Hand.

 

„Wo seid ihr?“, murmelte sie und hielt das Amulett noch fester.

 

Tsuru meckerte immer weiter und die Mädchen gingen einfach weiter durch den nebligen Wald. Es ging etwas bergauf, was das ganze Umherlaufen noch erschwerte.

 

 

 

„AH! Das kann doch nicht sein!?“, schrie ein Junge in Jeans, der an einer Bucht am südlichen Ende der Insel aufwachte.

 

Vor ihm lag ein großer Stapel an zerissenen und zerstörten Büchern.

 

Er stürmte sich auf den Haufen und sah sich die Buchdeckel an und las sich einige Seiten durch. Beruhigt setzte er sich neben den Stapel.

 

„Doch nicht meine Bücher...“, murmelte er.

 

Ein starkes Magenknurren brachte ihn dazu aufzustehen und etwas umherzulaufen.

 

„Ob es hier etwas zu essen gibt?“, fragte er sich und sah sich um, „Nun ja, die Dinge in dem Wald da hinten sind bestimmt echt widerlich... Wie wäre es mit Fisch? Ich bin ja immerhin am Wasser...“

 

Jumon lief zum Wasser in der kleinen Bucht. Er krempelte die Beine der Hose etwas nach oben und lief ins Wasser. Erstaunlicherweise war es wärmer, als er es erwartet hätte. 

 

„Bin ich also doch irgendwo am Meer...“, stellte er fest und durchwatete das flache Wasser, „Hier müssten doch irgendwo kleine Fische sein...“

 

Plötzlich hörte er etwas Platschen.

 

„Endlich!“, rief eine Person und er sah sich um. Nicht weit entfernt von ihm stand ein Junge im Wasser und hielt etwas noch undefinierbares in den Händen.

 

Jumon ging auf ihn zu.

 

„Hattest wohl Glück beim Fangen, was?“, sprach der Orange-Haarige.

 

„Oh... Hallo, ja... ich habe auch echt lang dafür gebraucht...“, seufzte der Junge.

 

Er war nicht größer als Jumon und hatte gelb-orangene Haare, die ihm wild ins Gesicht hingen.

 

„Ich bin gerade auch auf der Suche nach einem guten Fisch, aber ich finde einfach keine...“, erklärte Jumon.

 

„Wie gesagt... ich hab echt lange gebraucht...“

 

Jumon sah genauer hin. Der Fisch, den der Junge gefangen hatte, schwamm weiter durchs Wasser, als wäre nichts passiert. Nicht einmal von Jumons Anwesenheit ließ er sich beunruhigen. Aber dennoch hielt der Junge den selbigen Fisch in den Armen.

 

Dann verstand Jumon die Situation.

 

„Wie lang denn?“, fragte er, als würde er mit einer normalen Person reden.

 

„Auf diesen Leckerbissen habe ich sieben Monate gewartet...“

 

„Wenn du willst, können wir ein Lagerfeuer machen. Ich hab dort hinten einen Stapel alte Bücher entdeckt, die man dafür verwenden könnte...“

 

„Ist dir nicht kalt?“, entgegnete der Junge und musterte Jumon, der nur eine Jeans trug.

 

„Das sollte ich dich fragen...“, meinte Jumon, „Du hast doch nichts an... Außerdem mag ich die Kälte.“

 

„Du kommst nicht von hier?“, fragte der Junge und stieg aus dem Wasser. Jumon folgte und zeigte ihm den Weg.

 

„Nein, ich komme aus einem kleinen Dorf auf einem verschneiten Berg. Mein Name ist Jumon, wie heißt du?“

 

„Ich heiße Rukiyo“, stellte er sich vor und liefen gemeinsam zu dem von Jumon vorgeschlagenen Platz.

 

„Woher kommst du?“, erkundigte sich der Orange-Haarige und brach sich ein paar Zweige eines Baumes in der Nähe ab. Danach bastelte er sich eine kleine Vorrichtung zum entfachen des Lagerfeuers.

 

„Ich komme aus einem kleinen Waisenhaus vom Festland...“, erklärte Rukiyo.

 

'Vom Festland? Hab ich das richtig verstanden? Dann befinden wir uns wohl auf einer Insel...', überlegte sich Jumon und sprach, „Du bist Waise?“

 

„Ja, meine Eltern habe ich nie kennengelernt...“, seufzte Rukiyo und spieß den Fisch auf einen Stecken auf.

 

Jumon versuchte immer noch das Feuer zu entfachen. Doch er schaffte es einfach nicht. Er konzentrierte sich kurz und nahm Kontakt zu einem Geist in der Nähe auf, der ihm dann doch half, ein kleines Feuer zu entzünden. Dann stapelte er schnell einige Bücher für ein nettes Lagerfeuer.

 

„Besser als Eltern zu haben, die dich loswerden wollen...“

 

„Das kann ich nicht beurteilen“, meinte Rukiyo und steckte den aufgespießten Fisch in den Boden, sodass er über dem Feuer gebraten werden konnte.

 

 

 

Shiana hörte plötzlich etwas miauen. Was war das?

 

Sie sah sich um und merkte, dass in einem Busch etwas raschelte. Vorsichtig ging sie hin und schob die Blätter des Busches beiseite. Dornen pieksten ihren Finger.

 

„Myu, was machst du denn hier?“, begrüßte sie die kleine schwarze Katze.

 

Sie gab ein Miauen von sich und sprang Shiana in die Arme. Diese streichelte die verängstigt wirkende Katze zur Beruhigung.

 

Kûosa schielte gespannt über ihre Schulter und Tsuru zog an ihrem Ärmel.

 

„Darf ich auch mal?“, fragte sie mit riesigen Hundeaugen.

 

„Natürlich“, meinte Shiana und ließ das grün-haarige Mädchen die Katze streicheln, „Aber sei immer schön behutsam, in Ordnung?“

 

„Japp!“, meinte sie und streichelte liebevoll die Katze.

 

„Du irrst hier wohl auch umher?“, murmelte Shiana, „Genau wie wir. Ginta und die anderen sind einfach nicht zu finden... Schon seit einiger Zeit laufen wir umher und mich verlässt das Gefühl nicht, dass wir im Kreis laufen...“

 

Tsuru hörte ihre Worte und sah sie bedrückt an.

 

„Oh, nein bitte versteh das nicht falsch, Tsuru. Wir werden sie bestimmt finden und dann essen wir was ganz leckeres, ja?“

 

„Ja! Essen!“, das kleine Mädchen freute sich riesig und umarmte Kûosa, „Hast du das gehört, Kûosa? Lecker Essen!“

 

Dann flüsterte das blau-haarige Mädchen etwas, das Tsuru nicht hören sollte: „Bitte Myu, hilf uns Ginta und die anderen zu finden... Ich schaffe das nicht alleine...“

 

Mit einer zitternden Hand holte sie das Amulett wieder aus ihrer Tasche und legte es der Katze um den Hals. Danach sprang sie von Shianas Armen und lief in eine Richtung. Die Mädchen folgten ihr.

 

 

 

Sayoko blieb plötzlich stehen.

 

„Hier stimmt doch etwas nicht...“, meinte sie und Matra blieb ebenfalls stehen, „Merkst du das auch?“

 

„Schon seit einer Weile, als würde uns jemand verfolgen“, sagte die Schwarz-Haarige kühl.

 

Als hätte man den Teufel persönlich heraufbeschworen, sprangen in dem Moment Männer von Bäumen und aus Büschen und griffen die Mädchen an.

 

Matra hielt ihre Beile kampfbereit und auch Sayoko zückte ihren Dolch.

 

„Frischfleisch!“, rief einer der Männer.

 

„Endlich ein paar neue Opfer“, meinte ein Anderer.

 

Es müssten um die fünfzehn Leute gewesen sein, die in dreckigen Lumpen gekleidet und unrasiert waren. In ihren Augen spiegelte sich der Wille zum Überleben wieder, das erkannte Sayoko sofort.

 

„Wenn ihr uns haben wollt, kommt doch“, forderte sie die Männer heraus.

 

Dann begann der Kampf. Die Männer stürzten sich auf Sayoko und Matra, die es schwer damit zu tun hatten, abzuwehren und zurückzuschlagen. Es war ein Hin und Her. Matra schaffte es, denen starke Wunden hinzuzufügen, die versuchten sie zu beißen. Aber auch Sayoko blieb nichts anderes übrig, als einigen tiefe Schnittwunden zu verpassen.

 

Es dauerte jedoch nicht lange und einige der Männer flüchteten, ob nun schwerverletzt oder nicht spielte keine Rolle mehr.

 

„Was waren das für Leute!?“, schnaufte Sayoko.

 

„Ich weiß es nicht...“, meinte Matra.

 

„Shal waren es aber auf keinen Fall...“

 

„Bestimmt nicht.“

 

„Ich hab das schlechte Gefühl, dass sie bald zurückkommen...“, murmelte Sayoko, „Wir sollten lieber schnell weiter...“

 

„Bleib wachsam“, mahnte Matra sie und die beiden gingen weiter.

 

 

 

„Hast du das gehört?“, fragte Ginta seinen Begleiter und hielt inne.

 

„Was denn?“, wunderte sich Yuu.

 

„Da hat doch gerade jemand geschrien, oder nicht?“

 

Ginta legte seinen Kopf zur Seite.

 

„Könnte es...“, er überlegte, „Das war bestimmt eine der Mädchen! Komm schon, sie müssen ganz in der Nähe sein.“

 

Er hastete enthusiastisch nach vorn.

 

„Warte doch!“, rief Yuu und lief ihm hinterher, „Das könnte auch eine Falle sein!“

 

„Was, wenn sie in der Falle stecken!? Wir müssen ihnen helfen!“, meinte Ginta und lief noch schneller.

 

Er war sich sicher, dass es eine der Mädchen war. Es musste einfach so sein, das redete er sich ein.

 

 

 

„Ah, ist das heiß!“, meinte Rukiyo, der sich den Fisch packte. Ausversehen stieß er mit seinem Fuß gegen den Stecken und der Fisch viel direkt in das heiße Feuer. Ohne weiter darüber nachzudenken packte er sich den heißen Fisch und lag ihn beiseite.

 

„Das tut so schrecklich weh!“, beschwerte er sich und streckte Jumon seine Hände entgegen, „Sieht es schlimm aus?“

 

Er drehte seinen Kopf weg, damit er die Wunde nicht sehen musste.

 

Jumon warf einen Blick auf seine Hände. Nachdem ihm klar wurde, wer Rukiyo wirklich war, schockierte ihn es nicht, was er da zu sehen bekam.

 

„Sieht nicht so schlimm aus, halt sie kurz ins Wasser, dann müsste es schon wieder gehen“, sagte Jumon.

 

Rukiyos Hände waren nicht verletzt. Sie waren auch nicht dreckig oder hatten irgendeinen Kratzer. Das war das, was Jumon gleich auffiel. Es fiel auch auf, dass Rukiyo so eine saubere, gepflegte Haut hatte und dass er gar nicht abgemagert war. Gut, Jumon wollte nicht ausschließen, dass es noch andere Nahrungsquellen hier gab, aber dennoch war es auffällig, dass der Junge seit einigen Monaten auf diesen einen Fisch wartete.

 

Nachdem Rukiyo seine Hände ins Wasser hielt kam er zurück und setzte sich wieder ans Feuer.

 

„Jetzt geht es wieder“, atmete er auf, „Tut schon gar nicht mehr so weh...“

 

„Dann ist gut...“

 

Dann nahm sich Rukiyo den Fisch und biss etwas Fleisch heraus. Er kaute und schluckte hinunter.

 

„Schmeckt das köstlich!“, meinte er und hielt Jumon den Fisch vor die Nase, „Willst du auch einmal probieren?“

 

„Nein, danke“, lehnte Jumon ab, „Iss ruhig du alles auf, ich habe keinen Appetit...“

 

Der orange-haarige Junge musste seinen Hunger wirklich unterdrücken, denn der Fisch sah zum anbeißen köstlich aus.

 

„Sag mal, wie alt bist du eigentlich?“, fragte Jumon und starrte ins Feuer.

 

„Ich bin...“, fing Rukiyo an, schluckte wieder hinunter und sprach weiter, „Ich bin erst 14 geworden...“

 

„Alles Gute nachträglich...“, meinte Jumon.

 

„Vielen Dank...“, bedankte er sich und hielt kurz inne, „War ein toller Tag... Obwohl ich schon gern mit meinem kleinen Bruder gefeiert hätte...“

 

„Du hast einen kleineren Bruder?“

 

„Er ist nicht wirklich mein Bruder, weißt du. Aber wenn man in einem Waisenhaus aufwächst, sind all die Kinder wie Brüder und Schwestern für dich...“

 

„Wo ist denn dein Bruder?“

 

„Er ist schon vor einiger Zeit von hier abgehauen... Das ist nicht mal ein halbes Jahr her... Da ich nicht weiß, wie er es geschafft hat, warte ich hier einfach, bis er irgendwann zurück kommt und mich auch abholt...“

 

„Ich hoffe, er kommt bald...“, meinte Jumon, „Wie seid ihr hier überhaupt her gekommen?“

 

„Das ist eine lange Geschichte...“

 

Rukiyo nahm noch einen großen Bissen vom Fisch, kaute es genüsslich und schluckte dann herunter.

 

„Es ist nicht lang her, da kamen Männer in schwarzen Mänteln in unser Waisenhaus...“

 

'Die Shal...', dachte sich Jumon.

 

„Sie haben einfach ein paar von uns geschnappt und hierher verschleppt...“

 

Rukiyos Blick wurde immer leerer. Jumon erkannte, was das für ein traumatisches Ereignis sein musste.

 

„Mein Bruder meinte, zuerst, dass es eigentlich eine gute Möglichkeit wäre, aus dem Waisenhaus raus zu kommen. Weißt du, er war schon immer die Art Person gewesen, die... die einfach frei sein wollte...“

 

„Ich verstehe“, warf der Orange-Haarige ein.

 

„Dann sind wir hier gelandet...“

 

„Was ist dann passiert?“

 

„Ich weiß es nicht mehr...“, sagte Rukiyo und aß seinen Fisch weiter.

 

Sie sprachen nicht weiter, bis der Fisch vollkommen aufgegessen wurde.

 

Plötzlich hörte Jumon jemand schreien. Er horchte auf, doch das war das einzige, was er hören konnte.

 

„Ich habe das Gefühl, meine Freunde sind hier auch, auf dieser Insel...“, stellte Jumon fest.

 

Das mit den Shal, wieso er ohnmächtig wurde und hier auf dieser verlassenen Insel aufwachte... er brauchte nicht eins und eins zusammenzählen, um zu erkennen, was hier los war.

 

„Willst du mich nicht begleiten, meine Freunde zu suchen? Ich wette, dein Bruder irrt hier auch umher...“, schlug Jumon vor.

 

„Kein Problem...“, meinte Rukiyo und stand auf. Sie liefen nach Norden, verließen die Bucht und traten in den Wald ein.

 

 

 

Der Weg wurde immer steiler und Ginta merkte jetzt, wie anstrengend es langsam wurde, dieses Tempo zu halten. Erst blieb er stehen, machte eine kleine Verschnaufpause und dann liefen er und Yuu etwas langsamer weiter.

 

„Ich weiß, dass sie hier irgendwo sind...“, murmelte Ginta immer und immer wieder.

 

'Schon fängt es an', merkte Yuu, der jedoch nichts sagte, 'Er dreht langsam durch. Das ist der erste Schritt. Wahrscheinlich hat er zu wenig getrunken...“

 

Ginta lief weiter.

 

Es brauchte nicht lange, da lief ihm ein kleines schwarzes Tier entgegen.

 

„Myu!“, rief er auf und sie sprang in seine Arme, „Endlich habe ich dich gefunden. Hab dich ja richtig vermisst.“

 

Er kraulte sie und bemerkte, dass sie sein Amulett um den Hals trug. Nachdem er ihr es abgenommen hatte, um es sich selbst anzulegen, fragte er sie: „Was machst du denn hier?“

 

Die Katze sprang wieder auf den Boden und führte Ginta und Yuu, der die Katze etwas komisch fand, in die Richtung, aus der sie kam.

 

„Kûosa!“, rief Ginta auf, der schon von weitem die Hasenohren des Bäres entdeckte, „Dann müssen Tsuru und... Shiana!“

 

Er entdeckte die Begleiterinnen des Bäres und stürmte auf sie zu. Yuu lief ihm langsam hinterher.

 

„Da seid ihr ja! Ich habe euch gesucht... Wie geht es euch? Seid ihr verletzt?“

 

Ginta überhäufte die Mädchen mit lauter Fragen.

 

„Ich habe immer noch Hunger!“, beschwerte sich die kleine Tsuru.

 

Kûosa stand nur da, winkte und grinste Ginta an. Und als der Junge sich zu Shiana drehte, wurde er auf einmal ganz rot im Gesicht, sie trug ja immerhin nur seine Jacke.

 

Shiana wurde aber auch rot, als sie erkannte, dass Ginta nur in ein Laken eingewickelt war.

 

„Uns geht es soweit gut...“, antwortete sie, „Wie geht es dir?“

 

„Mir geht es gut, wisst ihr wo die anderen sind?“

 

Shiana schüttelte den Kopf.

 

„Danke, dass du mich den Mädchen vorstellst...“, warf Yuu ein, der plötzlich hinter Ginta stand.

 

„Wow wow wow! Was ist denn das für ein Ding!“, rief der Schwarz-Haarige, als er Kûosa entdeckte.

 

„Das ist kein Ding! Das ist Kûosa!“, schmollte Tsuru und stellte sich beschützend vor ihn.

 

„Ja...“, meinte Ginta und kratzte sich am Hinterkopf, „Das ist Kûosa, ein guter Freund von uns... Und das kleine Mädchen hier ist Tsuru...“

 

„Hallo...“, begrüßte Yuu sie etwas überheblich, „Und wer bist du, schöne Prinzessin?“

 

Er beugte sich zu dem Mädchen mit den blauen Haaren, nahm ihre Hand und setzte einen zärtlichen Kuss darauf.

 

„Ich bin Shiana...“, meinte sie zögerlich und zog langsam ihre Hand wieder zu sich zurück. Ginta konnte nicht fassen, dass Yuu ihr gerade einen Handkuss verpasst hatte.

 

 

 

Jumon fiel nicht ein, mit was er Rukiyo ablenken könnte. Er durchforstete seine Gedanken, doch fand einfach kein Thema, über das er mit ihm sprechen konnte. Dabei wollte er ihn doch so gern etwas von dem allen hier ablenken.

 

Rukiyo lief einfach neben Jumon weiter. Ab und zu blickte er ihn an und schaute dann aber schnell wieder weg, als er zurück blickte.

 

Doch dann griff Jumon auf ein Thema zurück, über das er eigentlich stundenlang reden konnte: Bücher. Er fragte seinen neuen Freund, was für Bücher er denn schon alles gelesen hatte und sie diskutierten ein wenig darüber.

 

 

 

Nicht weit entfernt machte Matra und Sayoko eine kleine Rast.

 

„Ich kann einfach nicht mehr ohne etwas zu Essen...“, brummte Sayoko und ließ sich auf einen Stein nieder.

 

„Hier gibt es wirklich nichts, was man essen könnte“, stellte Matra fest und blieb neben Sayoko mit verschränkten Armen stehen. Sie schaute ab und zu umher. Sicher ist sicher, denn wenn diese Männer wieder kommen würden, müssten sie darauf gefasst sein.

 

„Ich hab das Gefühl, wir finden die anderen nie...“, seufzte Sayoko und gähnte herzhaft.

 

„Sayoko!“, rief eine Stimme.

 

„Was ist, Matra?“, wunderte sie sich.

 

„Ich habe nichts gesagt“, entgegnete sie kühl.

 

„Sayoko!“, rief die selbe Stimme wieder.

 

„Wenn du mich verarscht, dann bekommst du eine auf den Deckel, haben wir uns verstanden!?“, brüllte Sayoko und stand auf.

 

„Ich habe aber nichts gesagt“, verteidigte sich Matra kühl und starrte in die Ferne. Sie hob eine Hand und zeigte mit dem Daumen über ihren Rücken, „Daher kommt die Stimme.“

 

„Sayoko! Matra!“, rief Ginta der zwischen ein Bäumen angerannt kam, „Endlich habe ich euch gefunden...“

 

Er stellte sich vor die zwei und stützte sich auf seine Knie, „Geht es euch gut?“

 

„Abgesehen von dem Hunger“, meinte Sayoko.

 

„... und der Kälte“, fuhr Matra fort.

 

„Dann bin ich beruhigt...“, schnaufte Ginta.

 

„Da sind sie!“, hörte Sayoko eine kindliche Stimme quietschen.

 

Es war Tsuru, die von Kûosa getragen wurde.

 

„Ah, die anderen sind auch hier?“, erkundigte sich Sayoko.

 

„Ja, bisher sind wir alle. Nur von Jumon ist noch weit und breit nichts zu sehen...“

 

„Dann sollten wir ihn wohl finden, nicht wahr?“

 

Die Anderen waren nun auch dazu gestoßen und die Freude war groß, dass niemandem etwas zugestoßen war.

 

 

 

In der Zwischenzeit liefen Jumon und Rukiyo in nord-östlicher Richtung weiter.

 

„... Ah, und die Geschichte über den Wanderer der Zeit habe ich erst letztens beendet, das war ein spannendes Buch. Er hat einfach eine Maschine gebaut, mit der er die Kraft der Sonne und der Sterne dazu nutzte, die Zeit-Dimension so zu verändern wie er wollte...“, erzählte Jumon.

 

„Das hört sich wirklich spannend an...“, meinte Rukiyo und grinste ihn an, „Du hast echt viele Bücher gelesen, das ist beeindruckend...“

 

„Ich muss auch zugeben, dass das wirklich viel Spaß gemacht hat“, lächelte Jumon.

 

„Jetzt habe ich auch richtig Lust bekommen, ein Buch zu lesen“, gestand Rukiyo und kratzte sich am Hinterkopf.

 

Jumon wollte gerade etwas sagen, als er plötzlich die Stimmen seiner Freunde hörte.

 

„Das sind sie“, sagte Jumon hoffnungsvoll, „Das sind meine Freunde!“

 

„Dann sollten wir ihn wohl finden, nicht wahr?“, hörte er Sayoko sagen.

 

„Wir haben sie aber schnell gefunden...“, grinste Rukiyo und lief mit Jumon weiter. Sie blieben an einem Abhang stehen. Es ging an dieser Stelle sicher 10 Meter weit in die Tiefe. Jumon beugte sich nach vorn und erhaschte sich einen Blick nach unten. Dort saßen tatsächlich Sayoko, Ginta und die Anderen.

 

„Komm, gehen wir runter“, meinte Jumon und suchte einen Weg, wie er da runter kommen könnte.

 

„Warte...“, meinte Rukiyo und blieb stehen.

 

„Was ist?“

 

„Da... da... da steht er“, sagte er mit zittriger Stimme, „Da steht mein Bruder... er ist gekommen...“

 

„Siehst du! Ich habe dir doch versprochen, dass er kommen würde“, meinte Jumon stand auf und ging den Weg, den er gerade entdeckt hatte.

 

'Das wird brenzlig', dachte er sich, 'Wenn er herausfindet, dass...'

 

Plötzlich stolperte er und rollte den Weg hinunter und stoppte erst vor den Füße von Kûosa.

 

 

 

„Jumon!“, rief Ginta erfreut auf, „Wenn man von dir spricht...“

 

Er half ihm hoch und lachte, „Endlich sind wir wieder vereint... Yuu, darf ich dir vorstellen? Das ist Jumon, der letzte im Bunde.“

 

„Hi, nett dich kennenzulernen...“, meinte er und musterte ihn.

 

„Wie geht es euch?“, warf Jumon in die Runde, 'Das ist also Rukiyos Bruder? Das soll sein kleiner Bruder sein? Rukiyo... du wartest schon lange auf ihn, nicht wahr...'

 

Der Junge mit den orangenen Haaren seufzte in Gedanken.

 

„Uns geht es soweit gut“, erklärte Sayoko.

 

„Das freut mich...“

 

„Jumon“, fing Ginta an, „Das ist Yuu. Ich habe ihn dort getroffen, wo ich aufgewacht bin... Er war schon einmal auf dieser Insel und ist zurückgekommen, weil er etwas sucht...“

 

„Ich denke, ich habe es gefunden...“, meinte Jumon kühl, „Das hier ist Rukiyo...“

 

Yuu schreckte auf. Hatte er gerade wirklich Rukiyo gesagt?

 

Doch es passierte nichts.

 

Rukiyo trat zwar hinter Jumon hervor, aber die anderen verstanden nicht.

 

Jumons Hals schnürte sich zu. Ein mulmiges Gefühl kam plötzlich in ihm hoch. Ginta verstand schnell, wie die Situation war.

 

„Leute...“, fing Jumon an, es fiel ihm schwer noch etwas zu sagen, „Das hier ist Rukiyo...“

 

Er fokusierte seine Energien und machte Rukiyo für die anderen sichtbar. Dann drehte er sich weg.

 

Erst fuhr ein Staunen durch die Gruppe. Kaum einer traute sich etwas zu sagen.

 

„Rukiyo.. du... du...“, stotterte Yuu.

 

„Yuu, endlich habe ich dich gefunden...“, nuschelte Rukiyo der so liebevoll lächelte, dass allein das Lächeln jeden zum Weinen bringen könnte.

 

„Rukiyo, hör zu...“, fing Jumon an und holte noch einmal tief Luft, bevor er weitersprach, „Rukiyo du bist ein Geist. Du bist bestimmt vor einiger Zeit schon gestorben, nur hast du es nicht realisiert, weil der Wunsch deinen Bruder zu sehen viel zu groß war...“

 

„Vier Jahre ist es her...“, brachte Rukiyo aus sich heraus bevor er fürchterlich das Weinen anfing.

 

„Ich... ich bin tot?“, wunderte sich der Geist.

 

„Ja... das bist du... Es tut mir Leid, dass ich es dir nicht vorher sagen konnte“, erklärte Jumon, „Aber als du den Fisch gefangen hast, dich am Feuer 'verbrannt' hast... ich habe schnell realisiert, dass du ein verlorener Geist warst...“

 

Jumon konnte seinen Tränen nicht mehr unterdrücken. Auch Shiana, Ginta und Tsuru konnten sich nicht mehr zurückhalten.

 

„Endlich habe ich dich gefunden, Bruder...“, sagte Yuu und wischte sich die Tränen aus den Augen, „Schau mich an... Ich bin wieder gekommen wie ich es dir versprochen hatte und ich werde deinen und die Tode der Anderen rächen!“

 

„Ich sehe, wie du gewachsen bist, Yuu... Es macht mich wirklich glücklich, dich noch einmal gesehen zu haben... Jumon...“, meinte er und drehte sich um, „Was wird jetzt mit mir passieren?“

 

„Das... das kommt darauf an, was du dir am meisten wünscht...“, erklärte Jumon.

 

„Dann wünsch ich mir... dass ich immer bei meinem kleinen Bruder sein kann...“

 

„Bruder...“, sprach Yuu, doch dann passierte es schon.

 

Rukiyo löste sich auf. Es fing an den Beinen an und wanderte dann langsam nach oben.

 

„Anscheinend war es das für mich... Danke Jumon, dass du mir noch geholfen hast... Danke Yuu, für alles was du im Leben für mich getan hast...“, sprach er und löste sich dann fast vollkommen auf.

 

„Rukiyo! Warte!“, rief Yuu und wollte noch nach Rukiyos Hand greifen, „Warte doch ich habe noch etwas zu sagen...“

 

Rukiyo schüttelte nur den Kopf, dann verschwand auch dieser. Seine letzte Träne fiel auf Yuus warme Hand.

 

„Wo.. Wo ist er hin!?“, brüllte Yuu, der total aufgebracht war. Dann stellte er sich vor Jumon und packte ihn an der Schulter, „Wo ist er jetzt!?“

 

Ginta wischte sich die Tränen vom Gesicht und zerrte Yuu zu sich zurück.

 

„Jumon kann auch nichts dafür“, murmelte er und hielt am Arm fest.

 

„Sein letzter Wunsch war es bei dir zu sein... das ist er jetzt auch...“, erklärte Jumon und drehte ihnen den Rücken zu.

 

„Aber ich wollte ihn mitnehmen, ich wollte ihn retten, ich wollte ihm noch so viel sagen! Rukiyo!“, brüllte Yuu aufgebracht. Die Freunde sahen bedrückt zu Boden.

 

„Das ist nicht fair!“, wiederholte Yuu aufgebracht und ließ sich auf den Boden nieder. Er ballte seine Fäuste und rammte sie immer wieder in den Boden. „Ich wollte ihm noch so viel sagen…“

 

 

 

Nachdem sich Yuu wieder beruhigt hatte, stand er auf und kündigte an: „Ich werde die Shal für das alles auf jeden Fall büßen lassen! Komme was wolle...“

 

„Wir werden dir alle dabei helfen...“, unterstützte ihn Ginta.

 

„An der süd-östlichen Küste müsste eine Höhle sein, in der eine Art Überwachungszentrale ist. Dort sitzen sie...“

 

„Dahin wolltest du also“, erkannte Ginta, „Freunde, ich denke dort werden wir auch einen Weg finden, von dieser Insel fort zu kommen... Wenn es Yuu schon einmal geschafft hat.“

 

„Apropos“, meinte Sayoko, „Ich will alles wissen...“

 

„Na gut“, meinte Yuu und erzählten denen, die es noch nicht gehört hatten, seine Geschichte.

 

 

 

Dann machten sie sich auf den Weg und in der Tat befand sich an diesem Küstenstück eine Höhle. Yuu hielt seinen Bogen bereit und auch die anderen zückten ihre Waffen. Vorsichtig schlichen sie durch die Grotte und entdeckten am Ende eines Ganges eine kleine, beleuchtete Tür.

 

Sie war verschlossen.

 

„Ich habe da etwas...“, meinte Sayoko und fuchtelte sich in den Haaren herum. Sie zog eine kleine Haarnadel heraus und bog sie etwas um, „Solche Schlösser kenne ich, sind echt leicht zu öffnen mit den richtigen Hilfsmitteln...“

 

Sie steckte die Nadel in das Schlüsselloch und stocherte etwas herum. Dann klickte es plötzlich.

 

„Macht euch bereit, wir wissen nicht wie viele von den Shal dort sind...“, mahnte Ginta und Yuu öffnete die Tür.

 

Als sie erkannten, wie es dort drinnen aussah, waren sie geschockt. Es war ein kleiner Raum, an dessen Seite eine Wand aus riesigen Bildschirmen stand. Ein kleiner Mann mit Brille saß vor ihnen und beobachtete einen Kampf zwischen zwei Männern.

 

„Bist... bist du für alles hier verantwortlich?“, fragte Yuu der langsam zu dem Mann schritt.

 

„Oh! Was macht ihr denn hier!? Eigentlich solltet ihr euch im Wald befinden und euch gegenseitig abschlachten!“, verteidigte sich der Mann, der eine tiefe, raue Stimme hatte.

 

„Nach so vielen Jahren...“, murmelte Yuu und nahm einen Pfeil aus seinem Köcher.

 

„Du... du willst mich doch nicht umbringen!?“, schrie der Mann verwundert, „Aber auch wenn du das tust, werdet ihr alle draufgehen!“

 

Plötzlich lachte der Mann und drückte irgendeinen Knopf. Plötzlich ertönte eine Art Alarm.

 

„Die Insel wird sich von selbst auflösen...“

 

„DU!“, brüllte Yuu und stieß mit seinem Pfeil zu.

 

Die anderen konnten gar nicht zusehen. Nur Ginta und Jumon starrten Yuu an und verstanden, was er dort machte.

 

Von einem Blutrausch getrieben, konnte Yuu kaum aufhören, immer und immer wieder zuzustechen, bis Ginta ihn endlich davon abhielt.

 

„Es ist zu Ende...“, meinte er und zerrte Yuu weg von dem Mann, „Es ist alles vorbei...“

 

Der Junge mit den schwarzen Haaren stand da und weinte, wie er noch nie geweint hatte...“

 

„Hey, schaut mal...“, fing Sayoko an, nachdem sie eine große Schranktür öffnete, „Hier sind unsere Sachen...“

 

„Und hier ist eine Bodenklappe...“, meinte Matra, bückte sich und klappte sie auf, „Dort unten steht ein Boot, mit dem können wir fliehen.“

 

„Schnappt euch schnell euer Zeug und dann runter hier von der Insel... Wenn sie wirklich hochgehen soll...“, meinte Ginta, schnappte sich seine Kleidung und seine Tasche und kümmerte sich darum, dass jeder durch die Bodenklappe ging.

 

„Hier“, sagte er und drückte Yuu sein Zeug in die Hand, „Komm schon, verschwinden wir von hier...“

 

Yuu nickte nur und nacheinander stiegen sie hinunter. So schnell sie nur konnte, bereiteten sie das Boot vor, das nicht weit von der Höhle entfernt, aus einer zweiten Höhle aus in die See stechen konnte.

 

Als sie auf dem Wasser waren, wurde es allmählich dunkel. Die Sonne schien mit ihren letzten Strahlen durch die sich auflösende Nebelwand der Insel, bevor sie hinter dem Horizont verschwinden konnte.

 

Kapitel 50 – Flackerndes Licht

 

 

 

Sachte fuhr ein kleines Boot in einen Hafen ein. Es war kühl.

 

An einem Holzsteg warf der schwarz-haarige Junge ein Seil um einen Pflock und zog mit Hilfe des Hasenbäres das Boot komplett an den Steg heran. So konnten die acht Personen aussteigen. Wieder festen Boden unter ihren Füßen zu haben, erfüllte sie alle mit einem Gefühl der Sicherheit und der Erleichterung. Ohne ein Wort zu sagen, schlenderten sie langsam in Richtung Stadt. Ein Matrose kam ihnen entgegen und fragte sie etwas, doch er bekam keine Antwort. Die anderen Hafenarbeiter und Schiffsmänner sahen die Freunde komisch an.

 

Die Reise, die Ginta und seine Freunde hinter sich hatten, war glücklicherweise ohne Komplikationen verlaufen. Als sie von der Insel flüchteten, war die See ruhig.

 

 

 

Es war eine kleine, beschauliche Stadt. Es war ruhig und die Freunde erregten wenig aufsehen. Kûosa wurde zwar wie gewöhnlich angestarrt, jedoch ignorierten die Stadtbewohner den Bären. Sayoko sah sich um und entdeckte ein kleines, schlichtes Hotel, das wohl geeignet dafür schien, den Freunden als Unterkunft für eine Nacht zu dienen.

 

Sie gingen hinein und wurden höflich begrüßt.

 

„Zwei Zimmer für jeweils 4 Personen, bitte...“, bat Sayoko.

 

„Es tut mir Leid“, entgegnete ihr die Person hinter dem Tresen, „Diese Zimmer sind besetzt... Die letzten, die ich noch übrig habe, sind ein Zimmer für acht und zwei Zimmer für zwei Personen...“

 

„Dann bleibt uns wohl nichts mehr übrig, als das zu nehmen“, seufzte Sayoko und drehte sich um, „Aber ihr Jungs benehmt euch! Kûosa, du auch!“

 

Kûosa grinste wie immer und kratzte sich an einem seiner Hasenohren.

 

„Natürlich...“, gab Ginta von sich und seufzte leicht.

 

Dann griff sich Sayoko die Schlüssel, zahlte gleich das Geld für die Nacht und sie begaben sich nach Oben. Als sie ankamen, öffneten sie die Tür und sie standen in einem riesigen Zimmer. Es hatte sogar zwei Ebenen. Auf der einen standen eine Sofagarnitur und vier Betten, sowie ein großer Tisch. Man konnte sogar auf den Balkon nach draußen gehen. Mit einer kleinen Treppe, die doch eher wie eine Leiter aussah, konnte man die zweite Ebene erreichen, auf der eigentlich nur die letzten vier Betten waren.

 

Ein Staunen ging durch die Gruppe. In so einem schönen Hotelzimmer waren sie noch nie vorher gewesen.

 

„Wir haben sogar Ausblick aufs Meer...“, stellte Jumon fest.

 

„Die Betten sind super weich!“, rief Tsuru, die sich lachend auf ein Bett schmiss.

 

„Dafür war das Zimmer aber erstaunlich billig...“, murmelte Sayoko, „Na ja, was soll’s!“

 

Plötzlich grummelte einer der Personen mächtig der Magen.

 

Es war Yuu, der in der Mitte des Raumes stand und rot anlief, als ihn plötzlich alle anstarrten.

 

„Da hat wohl einer Hunger, was?“, grinste er und im nächsten Augenblick schon grummelte sein Magen mindestens genauso laut wie der von Yuu.

 

Sie lachten und steckten die anderen mit ihrem Lachen an.

 

„Dann wird es wohl Zeit, etwas zu essen, oder?“, warf Sayoko in die Runde.

 

„Wäre nicht schlecht“, fügte Jumon hinzu.

 

„Ja! Ich habe Kohldampf!“, beschwerte sich Tsuru.

 

„Schaut mal...“, meinte Shiana und nahm einen Prospekt in die Hand, „Sie haben hier sogar einen Zimmerservice, der einem jegliches Essen bringt...“

 

„Dann sollten wir da zuschlagen! Ich gehe schon mal runter und bestelle für uns etwas, ja?“, meinte Sayoko, schnappte sich den Prospekt und verließ das Zimmer.

 

„Dann heißt es wohl warten...“, sagte Ginta und setzte sich an den Tisch.

 

Yuu setzte sich auch an den Tisch. Er wirkte etwas nachdenklich. Wahrscheinlich lag das auch an der erschöpfenden Reise mit dem Boot und den Geschehnissen auf der Insel.

 

„Rukiyo…“, flüsterte er.

 

Plötzlich berührte jemand seine Schulter. Es war Jumon der sich neben ihn setzte.

 

„Gib dir nicht die Schuld“, flüsterte er, sodass die anderen nichts mitbekamen.

 

„Aber...“, zuerst war Yuu geschockt, dass Jumon wusste, was er dachte, „Woher weißt du...?“

 

„Er reagiert auf das, was du denkst, das spüre ich...“

 

„Stimmt, du hast ja eine besondere Verbindung zu Geistern“, erinnerte sich Yuu.

 

„Rukiyo würde sicherlich wollen, dass du dir keine Vorwürfe machst... Also mach ihn nicht traurig, ja?“

 

Der schwarz-haarige Junge atmete tief ein und aus.

 

„Okay, ich tue es für ihn...“

 

Jumon lächelte und wandte sich zu Ginta. Er sah ihn erwartungsvoll mit hochgezogener Augenbraue an.

 

Ginta verstand doch das Zeichen nicht, wodurch Jumon seinen Kopf etwas in Yuus Richtung neigte, was in Gintas Kopf eine Art Geistesblitz auslöste.

 

„Ach, sag mal Yuu, was hast du jetzt eigentlich vor?“, fragte der 15-Jährige ihn.

 

„Das... ist eine gute Frage, wahrscheinlich...“

 

„Hast du nicht Lust, uns noch ein wenig zu begleiten?“, schlug Ginta vor.

 

„Ja, dann wär dir sicher für einige Zeit nicht mehr so langweilig“, lachte Jumon.

 

Jetzt setzten sich auch die anderen beiden Mädchen an den Tisch. Tsuru war schon mit Kûosa nach oben geklettert, um dort zu spielen.

 

 

 

Matra folgte dem Gespräch still. Shiana lächelte nur vor sich hin und streichelte Myu, die sich auf ihren Schoß legte.

 

Yuu hielt noch inne um nachzudenken.

 

„Jetzt komm schon“, forderte Ginta und stützte seinen Kopf auf einen Arm.

 

„Okay okay...“, gab Yuu nach, „Aber nur ein Weilchen, bis mir etwas Besseres einfällt, klar?“

 

„Klar“, wiederholte Ginta und grinste breit.

 

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Sayoko hielt einigen Kellnern die Tür auf. Sie brachten einen Haufen Essen und stellten unzählige Teller und Töpfe auf den Tisch.

 

„Vielen Dank, vielen Dank“, bedankte Sayoko sich vielmals und schloss die Tür wieder, nachdem die Kellner wieder verschwunden waren, „So Leute, lasst es euch schmecken! Hab dafür ja schließlich auch eine Stange Geld abdrücken müssen...“

 

„War das wirklich so teuer?“, wunderte sich Jumon der sich das leckere Essen ansah.

 

„Klar, weil das Zimmer so billig ist. Da muss das Essen teuer sein“, stellte sie fest, „Aber nichtsdestotrotz, lasst uns reinhauen!“

 

Sie setzte sich ebenfalls an den Tisch und auch Tsuru und Kûosa kamen hinzu. Dann genossen sie ihr köstliches Mahl aus den verschiedensten Gerichten. Von Nudeln zu den verschiedenen Gemüse und Fleischsorten bis hin zu super leckeren Nachspeisen.

 

 

 

Als das flackernde Licht der Straßenlaternen in das Zimmer schien, schliefen alle, bis auf Ginta. Er hatte sich seine Decke um sich gewickelt und saß auf dem Balkon, seinen Rücken an die Glastür gelehnt. Nur das Rauschen des Meeres und das Zirpen der Grillen unterbrach die Ruhe. Es war wieder eine Nacht, in der er nicht wirklich Schlafen konnte. Doch irgendwie wurde das in letzter Zeit schon zu einer Selbstverständlichkeit.

 

Ginta dachte auch des öfteren wieder an seine Großmutter und an die Leute, die durch die Shal ebenfalls großes Leid erfahren mussten. Wann würde seine Reise denn endlich ein Ende haben? Wann konnte er wieder in Ruhe schlafen, ohne Sorgen zu haben, wie es weiterginge?

 

Doch irgendwie wollte Ginta nicht, dass seine Reise jetzt schon aufhörte. Es würde bedeuten, dass er sich von seinen Freunden wieder trennen müsste. Denn sie würden sicherlich ihren eigenen Weg weitergehen, ohne ihn. Und er wäre wieder allein.

 

Es war ja schon schwer genug ohne Oto und Ryoma weiterzureisen. Irgendwie fiel es ihm schwerer als sonst, sich selbst zu motivieren.

 

„Ich hoffe, die anderen merken davon nichts...“, flüsterte er und stütze seinen Kopf auf seine von der Decke bedeckten Knie, „Oto... Ryoma... ich hoffe euch geht es gut...“

 

 

 

Plötzlich machte sich sein Amulett bemerkbar. Vorsichtig drehte er sich um und stand auf. Irgendetwas leuchtete schwach von dort, wo die Mädchen schliefen.

 

Er machte sich Sorgen, ging wieder in das Zimmer und legte seine Decke auf das leere Bett. Vorsichtig und leise kletterte er die Leiter zur Ebene der Mädchen hinauf. Ab und zu knarrte es etwas, Ginta hielt inne für eine Pause und kletterte dann weiter.

 

Als er oben ankam, versuchte er herauszufinden, woher das Leuchten kam. Er sah sich um und entdeckte Shiana, von der das Leuchten ausging. Leise schlich er an ihr Bett. Je näher er ihr kam, desto schwächer wurde das Leuchten.

 

Sie murmelte etwas im Schlaf.

 

„Sie träumt nur...“, stellte Ginta fest, als er sich zur ihr herunter beugte.

 

„Gin... ta...“, flüsterte sie und griff plötzlich nach seiner Hand. Das blau-haarige Mädchen träumte immer noch. Dann verzerrte sie ihr Gesicht und murmelte weiter unverständliches Zeugs.

 

Ginta hielt seinen Atem kurz an und entspannte sich dann wieder. Es fühlte sich schön an, ihre Hand zu halten.

 

„Träumst du etwa schlecht? Gib nicht auf, Shiana...“, flüsterte er ihr zu.

 

Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

 

„Gib nicht auf...“, wiederholte er. Dann wurde ihr Blick wieder sanfter.

 

Sie hielten immer noch ihre Hände und Ginta merkte nicht einmal mehr, was um ihn herum geschah. Er bemerkte nicht wie sein Amulett reagierte und er bemerkte auch nicht den sanften Windzug, der durchs Zimmer fuhr, da er vergessen hatte die Balkontür zu schließen.

 

Das Einzige, was gerade zählte, war diese Hand halten zu können und Shiana noch etwas beizustehen, bis ihr schlechter Traum wirklich beendet war.

 

 

 

Gintas Körper kribbelte nach einiger Zeit etwas. Ein Seufzen wurde dann allmählich zu einem Gähnen und langsam aber sicher wurden seine Augenlider immer schwerer. Einmal nickte er kurz ein, wachte dann aber wieder auf.

 

Die Müdigkeit fühlte sich gut an. Doch sein Bewusstsein rüttelte noch ein letztes Mal an ihm und er merkte, dass es Zeit war, sich in sein Bett zu legen. Er ließ Shianas Hand langsam wieder los, überlegte ihre Hand wieder zu nehmen und entschied sich dann jedoch dagegen. Dann stieg er behutsam die Stufen wieder herunter. Dann legte er sich in sein Bett und schlief ein, während die ersten Sonnenstrahlen am fernen Horizont die Welt schon wieder wecken wollten.