Über die Leichtigkeit des Brückenüberquerens

Regen. Es regnete wieder. Wie an jedem Montagmorgen. Herr Feder verließ seine kleine Wohnung am Stadtrand, sperrte sie zweimal zu und machte sich auf den Weg zur Arbeit.
Wieder ein Morgen, an dem Herr Feder einiges an Gepäck dabei hatte. Er hatte sich einen blauen Rucksack mit rotem Karomuster über die rechte Schulter gehängt. In seiner rechten Hand trug er einen Aktenkoffer, der mit echtem Krokodilleder bezogen war, so hatte es ihm damals der Verkäufer gesagt. Über seine linke Schulter trug er eine große Sporttasche.
So schleppte Herr Feder sein Gepäck über die mit Kieselsteinen ausgelegte Einfahrt zur Straße. Dort machte er wie gewöhnlich eine kurze Pause, sah nach links, nach rechts und wieder nach links, wartete noch einen Moment und überquerte dann die Straße. Diese schlenderte er entlang.
Jetzt lief er Richtung Osten. Normalerweise konnte er an jedem anderen Morgen die aufgehende Sonne betrachten. Doch heute war es Montag und montags regnete es. Er drehte sich noch einmal um. Es könnte ja sein, dass die Wolken hinter ihm sich schon auflösten und der Regen aufhörte. Doch auch dort konnte er nur eine graue Decke aus Regenwolken sehen. Also blieb ihm nun nichts anderes mehr übrig, als sein schweres Gepäck weiter in Richtung Osten, dort wo er arbeitete, durch den kalten Regen zu tragen.
Bald kam Herr Feder an einer kleinen Bäckerei vorbei, in der dieses hübsche Mädchen arbeitete, das ihm immer ein Lächeln schenkte, wenn er vorbeilief. Manchmal überlegte er sich, ob er nicht dort hineingehen sollte, um Brot zu kaufen und mit diesem Mädchen zu reden. Doch er ließ es. Er musste schließlich zur Arbeit und wollte nicht zu spät kommen.
Die kleine Straße mündete bald in eine große, viel befahrene Straße, die weiter nach Osten führte, dort wo Herr Feder arbeitete. Das laute Brummen der Autos störte Herrn Feder. Er mochte das Geräusch dieser motorisierten Monster nicht. Er sah zu, wie die bunten Autos an ihm vorbeizogen, das Wasser auf der Straße aufwirbelten und dann immer kleiner wurden und vergrauten, bis er sie nicht mehr sah.
Langsam merkte er, wie seine Taschen mit der Zeit schwerer wurden.
Das macht der Regen, sagte er sich.
Die Sporttasche rutschte etwas und Herr Feder war öfters damit beschäftigt, sich die Tasche wieder richtig auf seine Schulter zu ziehen. Seinen Blick immer noch nach Osten gerichtet, lief er weiter durch den Regen.
Nach nicht allzu langer Zeit erreichte Herr Feder eine kleine Brücke. Dort machte er wieder eine kleine Pause und legte seine Taschen auf den nassen Boden. Er lehnte sich an das Geländer und sah hinunter auf den Fluss, der durch seine Stadt floss. Einige Enten schwammen darin, tauchten unter, wohl um nach Nahrung zu suchen.
Der Fluss war nicht besonders breit. Auch nicht besonders lang – er mündete nach nur gut fünf Kilometern in einen anderen Fluss. Obwohl dieser Fluss nichts besonderes war, mochte es Herr Feder, an so einem Morgen auf der Brücke zu stehen und dem ruhig dahintreibenden Fluss bei seinem Sein zu betrachten.
Als die Enten davon schwammen und Herr Feder noch einmal auf die Uhr blickte, um zu überprüfen, ob er nicht zu spät kam, machte er sich wieder auf den Weg nach Osten, dort, wo er arbeitete.
Er warf sich den Rucksack über die rechte Schulter und die Sporttasche über die linke und ging. Die Taschen fühlten sich schwerer an als sonst, während er die Brücke überquerte und den vorbeiziehenden Autos hinterherblickte.
Die kommen sicherlich nicht zu spät, sagte er zu sich selbst. Dann blieb er stehen und drehte sich um. Er hatte seinen Aktenkoffer vergessen.