Pfad der Freundschaft

Es war ein altes Dorf in den Ruinen einer Wüste, über dem sich die Wolken zusammen taten und in einer grauen, flauschigen Masse den sonst strahlend blauen Himmel bedeckten. Ein Donnergrollen kündigte den ersten Regen seit den letzten Monaten an.

Der Regen prasselte nur so auf den sandigen Boden und spülte den Dreck weg. Er spülte den Dreck der Straßen, Pfade und Häuser des Dorfes weg. Hier und da sprossen die Blumen und etwas Gras wuchs in Windeseile. Das uralte Dorf erweckte wieder zu neuem Leben.

 

„Matra...“, flüsterte eine Frau mit glänzend schwarzen Haaren, die sich über ihre Tochter beugte, „Matra, wach auf, es ist so weit...“

Sanft berührte sie ihre Tochter an der Schulter. Sie ruckelte nicht an ihr.

„Matra, es ist so weit“, wiederholte sie leise ihre Worte, „Hörst du den Regen?“

Die kleine Matra kam zu sich.

„Der Regen...?“, murmelte sie und richtete sich auf.

„Guten Morgen mein Schatz“, begrüßte sie ihre Mutter mit einem liebevollem Lächeln und strich ihr durch das kurze Haar, „Hast du gut geschlafen?“

„Ja, das habe ich“, lächelte Matra, „Ich habe wieder von ihnen geträumt!“

„Hast du? Was war es diesmal denn?“, wollte ihre Mutter wissen.

„Heute haben sie ein wunderschönes Mädchen gerettet, die von bösen Leuten gefangen gehalten wurde...“

„Wurde jemand verletzt?“

„Nein, alle sind Heil aus dem Schlamassel raus gekommen!“

„Das ist ja klasse“, fand ihre Mutter, „Aber jetzt komm, frühstücke schnell noch etwas und dann mach dich fertig, heute ist der große Tag...“

„Geht klar“, grinste Matra und sprang aus ihrem Bett.

Die Mutter ging aus dem Zimmer in Richtung Essraum. Barfüßig lief die kleine Matra über den erdigen Boden und merkte schnell, dass der Regen den Boden schnell abkühlte. Zuerst war es noch ein wenig ungewohnt und unangenehm, doch schnell genoss sie es, nicht auf einem zu warmen Boden laufen zu müssen.

Matra machte sich fertig, zog sich an und setzte sich dann ebenfalls in das Esszimmer, in dem sie schon von ihrer Mutter erwartet wurde.

„Wo ist Papa?“, fragte die Kleine.

„Er ist mit den anderen Männern der Stadt auf die Hügel gegangen. Durch den Regen wachsen jetzt doch wieder die Pflanzen und sie kümmern sich alle darum, damit wir auch in nächster Zeit reichlich an Essen haben...“

„Stimmt“, merkte Matra und setzte sich hin. Sie nahm sich ein Brot und biss einen riesigen Brocken ab.

„Nimm nicht so viel Schatz, sonst verschluckst du dich noch...“

„Iff dof nüf!“, prahlte Matra und verschluckte sich dann an diesem Stück Brot. Doch nach etwas Husten war sie wieder gerettet.

Dann nahm Matra einen kleineren Bissen. Sie hatte wohl aus ihren Fehlern gelernt. Doch auch das hielt sie nicht davon ab sich zu verschlucken, denn hinter ihr stand plötzlich ein anderes Mädchen und erschreckte sie zu Tode.

„Hab dich!“, rief das Mädchen.

„AH!“, schrie Matra und hüpfte richtig auf.

„Du bist heute aber mal wieder schreckhaft“, lachte das Mädchen hinter ihr.

„Guten Morgen Uwanari“, grinste die Mutter, „Bist du schon fertig?“

„Ja“, antwortete sie, „Meine Eltern haben mich heute schon früh geweckt!“

„Guten Morgen Uwanari...“, brummte Matra die sich wieder normal hinsetzte, „Musst du mich jedes Mal so begrüßen?“

Man merkte Matra an, dass es ihr keinesfalls gefiel.

„Wir sind doch immerhin Freundinnen, da darf man sich doch mal einen Spaß erlauben!“, lachte sie.

„Aber das machst du jedes Mal...“, seufzte sie und aß ihr Brot zu ende.

„Tjapp, wenn du so schreckhaft bist“, wehrte sich Uwanari, „Bist du endlich soweit? Ich kann es kaum noch erwarten!“

„Jetzt bin ich so weit“, meinte sie und schluckte ihren letzten Bissen runter.

„Na dann, geht’s los“, meinte ihre Mutter, stand auf und klopfte sich noch die Brösel von ihrer Schürze.

„Beeilt auch mal! Es warten bestimmt schon alle“, forderte Uwanari, die schon an der Tür stand.

„Nicht so hektisch, ich bin schließlich auch nicht mehr die Jüngste“, sagte Matras Mutter. Dann gingen sie zum Tempel.

 

Es hatte nicht aufgehört zu regnen. Der Boden war schlammig geworden, doch anscheinend störte das keinen im Dorf. Andere Kinder tollten durch die Straßen und alte Frauen saßen auf Stühlen und genossen es, wie der Regen auf ihre Haut fiel.

Es war der erste Regen seit langem. Nicht nur die Menschen profitierten davon, sondern auch die Tiere der Umgebung und natürlich auch die Pflanzen. Der Regen war für dieses kleine Volk eines der heiligsten Naturphänomene, die es kannte.

Wenn eine der Priesterinnen des Tempels, den sie bewachten, ihrer Bestimmung nicht mehr nachgehen konnte oder verstarb, war es Brauch gewesen, beim ersten Regen des Jahres alle Mädchen der Stadt zu versammeln und die nächste Priesterin zu bestimmen.

Der Oberpriester hielt eine Art Ritual, eher eine Zeremonie ab, in der er bestimmte, welche Mädchen als Anwärterinnen für das Priesterinnenamt in Frage kommen. Uwanari, Matra und ihre Mutter saßen sich in den Tempel und der Priester hielt die Zeremonie ab.

Gespannt warteten die Mädchen des Dorfes auf die Zeremonie.

„Sei nicht enttäuscht“, grinste Uwanari, „wenn du keine Auserwählte wirst, ich werde dann dafür das alles doppelt so gut machen, ja?“

Uwanari war sehr überzeugt von sich. Während ihres Ego-Höhenflugs merkte sie aber nicht, wie aufgeregt und nervös Matra eigentlich war.

„Geht klar“, nuschelte sie und Uwanari strahlte.

'Wenn ich es nicht schaffe, ist es ja nicht so schlimm...', redete sich Matra ständig ein.

Eine Priesterin zu sein, war für die jungen Mädchen aber etwas sehr tolles. Denn das würde bedeuten, dass man sich nicht unbedingt um die Landwirtschaft und um das Haus kümmern muss. Es würde bedeuten, dass man von den meisten Leuten der Stadt respektiert wird und dass man der Stadt und dem Tempel etwas Gutes tun konnte.

Deswegen setzte sich Matra so unter Druck und war so nervös. Sie wollte doch so gern Priesterin werden, zusammen mit Uwanari, ihrer besten Freundin. Sie wollte so gern etwas Gutes für ihr Dorf tun.

 

Dann war es soweit. Der Oberpriester sprach die entscheidenden Worte und bat die Mädchen zu sich nach vorne. Sie stellten sich in einem Kreis auf und der Priester lies etwas Staub des Heiligtums des Tempels auf den Boden fallen. Wie als würden Wind oder Magnetismus den Staub manipulieren, bewegte sich der Staub von allein in die Richtung zweier Mädchen, die nebeneinander standen. Prüfend blickte der Priester die Mädchen an. Enttäuschung und teils auch Freude ging durch die Reihen der Mädchen. Es schien, als wäre eine Entscheidung getroffen.

Dann verkündete er das Ergebnis: „Wie es scheint, hätte das Heiligtum seine Anwärterinnen ausgewählt! Dieses Mal sind es zwei junge Mädchen, die anscheinend geeignet dafür sind, sich auf das Priesterinnenamt vorzubereiten. Ihr Zwei, nennt mir eure Namen...“

Eigentlich kannte der Priester die Namen der Mädchen, aber anscheinend gehörte dies zur Zeremonie.

„Uwanari!“, sagte das eine Mädchen.

„Matra“, brachte Matra kaum aus sich heraus, so nervös war ich.

Sie blickte schnell zu ihrer Mutter, die noch auf der Bank saß. Sie lächelte sie an und freute sich für ihre Tochter.

Dann schaute Matra wieder den Priester an.

„Seid ihr bereit dafür, Anwärterinnen für das Amt der heiligen Priesterin dieses Tempels zu werden?“

„Ja!“, antwortete Uwanari und strahlte wie sie nur konnte.

„Ja...“, murmelte Matra.

„Ihr wisst, dass am Ende nur eine von euch Priesterin wird? Ist euch das bewusst?“

„Natürlich!“, antwortete Uwanari mal wieder zuerst.

Matra sah unsicher ihre Freundin an. Sie sollten zusammen Anwärterinnen werden? Sie sollte sich mit ihrer besten Freundin.... Anscheinend war es so. Wenn das Heiligtum es so bestimmte, blieb ihr wohl nichts anderes übrig.

„Natürlich“, antwortete auch sie.

„Die Entscheidung ist gefällt, die Zeremonie vorbei. Ihr Mädchen könnt nun nach Hause gehen... Matra, Uwanari, ich sehe euch morgen Früh wieder...“

So verabschiedete sich der Priester.

„Mama...“, nuschelte Matra und rannte in die Arme ihrer Mutter.

Sie strich ihrer Tochter durchs kurze Haar.

„Freu dich doch, Schatz.“

„Das tue ich doch“, murmelte sie durch die Schürze, gegen die sie ihr Gesicht presste.

Matra freute sich unbändig. Sie konnte mit ihrer besten Freundin nun Anwärterin werden. Einer ihrer größten Träume, hatte sich somit erfüllt.